Liegestühle im Monacensia-Garten, eine Bibliothek als Ort zum Leben. Seit Januar ist Anke Büttner Leiterin der Monacensia. Die neue Chefin des Literaturarchivs hat sich viel vorgenommen und sprüht vor Elan.
Das Bild von Bibliotheken als »Ausleihstationen«, haben Sie erklärt, sei völlig veraltet. Bibliotheken müssten sich verändern, die Türen weiter öffnen. Wie zuversichtlich sind Sie nach den ersten Monaten als Leiterin der Monacensia, dass Ihnen das dort gelingen wird?
Das braucht seine Zeit, aber ich bin sehr zuversichtlich. Meine Vorgängerin Elisabeth Tworek hat großartige Arbeit geleistet, auf die ich aufbauen kann, und ich habe ein tolles Team. Im Vergleich mit den Stadtbibliotheken ist die Öffnung nach draußen für mich hier noch einmal eine besondere Herausforderung. An der Monacensia laufen Menschen nicht zufällig vorbei und schauen einfach mal herein. Es ist ungemein wichtig zu kommunizieren, dass diese wunderschöne Villa ein offenes Haus ist. Wir haben ein tolles Café, wir haben Liegestühle in den Garten gestellt. Dies soll kein Ort nur für Spezialisten und Literaturwissenschaftler sein. Ich möchte, dass alle Münchner die Monacensia als ihr Haus betrachten. Hier kann man sich treffen und arbeiten, im Grünen sitzen und lesen.
In letzter Zeit ist oft von einer Renaissance der Bibliotheken die Rede. Jüngere Menschen nutzen sie verstärkt als Arbeitsplatz.
Das ist ein wichtiger Faktor, um Bibliotheken lebendig zu halten. Gerade in einer Stadt mit so unfassbar teuren Mieten wie München sind frei zugängliche Rückzugsorte von großer Bedeutung. Bibliotheken sind nichtkommerzielle Räume, die es in unserer Gesellschaft ja kaum mehr gibt. Wir bieten Autoren, Journalisten, Hobbyhistorikern, Schülern und Studenten einen Ort, um in Ruhe zu arbeiten und zu lernen.
Sie gelten nicht als Spezialistin für bayerische Literatur. Müssen Sie da selbst noch dazulernen?
Durch unsere Veranstaltungen lerne ich beständig dazu, das ist ja das Schöne an meinem Job. Aber glauben Sie wirklich, es wäre für meine Arbeit hilfreich, wenn ich jeden Brief von Wedekind kennen würde? Ist es nicht viel wichtiger, gut vernetzt zu sein, kuratorische Erfahrung zu haben und den aktuellen Diskurs über die Neuausrichtung von Bi -bliotheken zu kennen? Wir müssen über viele Fragen neu nachdenken.
Bildet die Monacensia als »literarisches Gedächtnis der Stadt« tatsächlich die ganze Stadtgesellschaft ab? Was fehlt in unseren Archiven? Es muss nicht immer hohe Literatur sein, wir sammeln ja auch Notizbücher und Briefe. Was wurde übersehen an Texten etwa von Frauen oder von Gastarbeitern und ihren Kindern? Wie präsent sind deren Erfahrungen und Biografien? Bibliotheken stehen heute vor großen Herausforderungen. Wie gehen wir mit der digitalen Transformation und der Internationalisierung der Gesellschaft um? Wie erreichen wir die junge Generation, für die das Buch kein Leitmedium mehr ist? Unser Publikum hat sich bereits verjüngt, aber wir wollen noch mehr junge Leute ansprechen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Ein Schritt ist die Erweiterung des Literaturbegriffs, indem wir uns nicht auf Romane und Lyrik beschränken, sondern auch Graphic Novels und Texte von Songwritern einbeziehen. Wir planen gerade eine Erika-Mann-Ausstellung, die sich mit dem Themenkomplex Demokratie und ihre Bedrohungen auseinandersetzt. Wir zeigen nicht die Tochter oder Schwester Erika Mann, sondern die Kabarettistin, politische Journalistin und Essayistin, vom FBI überwachte und diffamierte Exilantin. Wir werden Schulen ansprechen und ihnen Führungen und Unterrichtsmaterial anbieten.
Sind das nicht eher klassische Wege?
Sicher, aber es kommt darauf an, was genau man da anbietet, zu schauen: Welche Fragen waren damals drängend und sind es heute immer noch oder wieder? Unser Auftrag ist es, das literarische Erbe lebendig zu halten. Wirklich gelingen, glaube ich, kann das nur im Dialog mit der Gegenwart. Indem wir etwa die Erfahrungen von Autoren aus unserer großen Exil-Bibliothek mit denen von Menschen heute verknüpfen. Im September gibt es den Schamrock-Salon »Münchner Dichterinnen lesen Münchner Dichterinnen«, bei dem Barbara YurtdaŞ-Texte von Carry Brachvogel präsentiert, Karin Fellner Elsa Bernstein und Sarah Ines Struck Karin Struck liest. Darüber hinaus denken wir über ganz neue Wege nach, um junge Leute zu erreichen. Wie lässt sich Literatur über das klassische Medium Buch hinaus vermitteln? Wie können wir die Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung eröffnen, für uns nutzen?
Sie haben erstmals am Kultur-Hackathon Coding Da Vinci teilgenommen. Museen und Bibliotheken stellen dabei ihre Daten Programmierern und Designern zur Verfügung, die daraus virtuelle Stadtrundgänge im 19. Jahrhundert oder lustige Memory-Spiele mit historischen Eisenbahnkarten basteln.
Das ist ein richtig cooles Projekt und eine tolle PR für unser Haus. Wir haben unsere Sammlung Münchner Speisekarten und alte Porträtaufnahmen eingereicht und sind sehr stolz darauf, dass unser Beitrag angenommen wurde. Wahrscheinlich wird ein Spiel daraus. Bei uns lagern große Schätze, die kaum Beachtung finden. Auf diese Weise werden sie aktiv genutzt.
»Unsere Besucher sollen keine passiven Betrachter sein«, haben Sie in einem Interview gesagt. Verhält sich ein Mensch, der ein Buch liest, in Ihren Augen passiv?
Nein, natürlich nicht. Aber passionierte Leser kommen sowieso zu uns. Um die brauchen wir uns nicht zu bemühen. Auch im Bereich Forschung sind wir sehr gut aufgestellt. Es geht darum, neue Zielgruppen zu erschließen, dafür müssen wir neue Kommunikationsstrategien und Angebote entwickeln. In diesen Prozess will ich unsere Besucher einbinden, sie anregen, Ideen an uns heranzutragen. Ich sehe mich nicht als große Autorität, die über alles Bescheid weiß und bestimmt wie ein Intendant. Solche Rollenbilder sind nicht mehr zeitgemäß. Für mich ist der Partizipationsgedanke ganz wesentlich. Das bedeutet, Macht abzugeben, und dazu bin ich gern bereit. Ich möchte alte und junge Menschen dabei unterstützen, zu Gestaltern des Möglichkeitsraums Bibliothek zu werden, ihn sich als ihren kulturellen Produktionsort anzueignen.
Wie könnte das konkret aussehen?
Autoren etwa sollen sich bei uns auch selbst organisieren können. Sie wissen doch viel besser als ich, was für sie sinnvoll ist. Ich wünsche mir, dass die Monacensia zu einem Haus der Münchner Autoren wird, in dem sie sich treffen, austauschen, lesen und schreiben. Dabei werden wir sie natürlich auch animieren, uns ihre Nachlässe anzuvertrauen. Sie sollen wissen, dass wir diese nicht nur museal aufbewahren, sondern ihre Texte zur Benutzung erschließen, präsent und lebendig halten. ||
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