Die Münchner Malerin Christine Linder zeigt neue Arbeiten in der Galerie ANAÏS.
Die zwei großen Bilder am Eingang der Galerie ANAÏS stimmen ein in die Resonanzen von Christine Linders poetischer Malerei: zwischen Spur und Schichtung, zwischen geometrischer Konstruktion und beweglichem Schweben. Die setzen sich fort im Gang bei »Ein blauer Dialog«, einer Dreierserie in kleinerem Format, mit der man lange ins Gespräch gerät. Eingeklebte Papier-Formen, lichte Farben und die feine gestische Materialität lassen das Auge atmen, wenn man sich Zeit nimmt.
»Offenes Geschehen«, im Ausstellungsraum des Rückgebäudes, ist ein sprechender Titel für das Verfahren von Christine Linders bildnerischen Findungen und Überraschungen. Die in Pasing lebende, in den Domagkateliers arbeitende Malerin war Anfang der 60er Jahre Meisterschülerin bei Prof. Hansen Bahia auf Burg Tittmoning, beschäftigte sich auch mit Keramik, hatte 1968 in Hamburg ihre erste Ausstellung als Malerin und gehört seit den 70er Jahren zur Münchner und bayerischen Kunstszene. Die Ausstellung zeigt Bilder und Zeichnungen der letzten drei Jahre; eines aus der quadratischen Serie »Varianten« ist 2019 datiert und erinnert ein wenig an die sensiblen geometrischen Formenspiele von Ben Nicholson. Auch die kraftvollen Collagen Robert Motherwells können einem in Momenten in den Sinn kommen, und natürlich die gestischen Traditionen des Informel. Aber Christine Linders künstlerische Mittel trumpfen nicht auf. Es sind wache Bilder, Erkundungen mit freiem Geist.
Der Ausstellungstitel »Einweg«, vom ersten Bild am Eingang übernommen, bezieht sich nicht auf pfandfreie Getränkebehältnisse, meint auch nicht die Einsinnigkeit einer Einbahnstraße, sondern im Gegenteil die Richtung, die sich erst bahnt: den Weg einwärts ins Bild. Und beschreibt den Arbeitsprozess: den Weg, den die Künstlerin anfangs verfolgt, und den Weg – wie sie formuliert – den das Bild nimmt, wenn die Auseinandersetzung mit einer Form eine neue Richtung einzuschlagen eröffnet, eine »Zusammenarbeit mit dem Bild«. Deshalb bieten diese Werke nicht einen Weg im Bild, sondern viele Wege. Und ihre Dynamiken, die zarte, präzise Textur, die vielgestaltigen Oberflächen lassen dem Auge Zeit.
»Sie sind nämlich bei Tageslicht gemalt«, formulierte die Kritikerin Hanne Weskott 2005, »und all die Feinheiten des Farbaufbaus und das Gespinst der Linien, die gezogen mit farbiger Ölkreide oder dem Bleistift ihr durchaus eigenes Spiel im Farbgrund treiben, sind nur bei guten Lichtverhältnissen zu entdecken.« Diese neuen Arbeiten kombinieren das malerische Vibrato mit einem geometrisch-kompositorischen. Bei »Einweg« korrespondiert das lichte, atmende Schwarz des fragmentarischen Keils mit der unten blühenden, grauen landschaftlichen Miniatur. Die hellen Felder stufen sich zueinander ab, und die Wegspuren in den zwei grauen Karrees ziehen durch das ganze Bild und darüber hinaus. ||
CHRISTINE LINDER: EINWEG
Galerie ANAÏS| Sedanstraße 22
bis 29. Juni| Mo bis Fr 10–18 Uhr, Sa 10–13 Uhr
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