Seine Verwandtschaft kann man sich nicht aussuchen. Was man darüber erzählt, schon. Edward Berger widmet sich in »All my Loving« den Befindlichkeiten seiner Figuren. Eine straffere Erzählweise hätte dem Film gut getan.
Tut es Filmen gut, wenn der Drehbuchautor auch Hauptdarsteller und Regisseur ist? In diesem Fall Nele Mueller-Stöfen und Edward Berger: Beiden kommt in dieser kruden Geschwisteraufstellung die kluge Distanz abhanden, mit derim Idealfall ein Dramaturg auf die Angelegenheit blickt, bevor es zu spät ist. Der dann auch Hinweise gibt, wo was zu viel, zu dick oder zu doof daherkommt. Fehlt diese korrigierende Perspektive, merkt man das dem Ergebnis sofort an. Wie in »All my Loving«, in dem Lars Eidinger, Nele Mueller-Stöfen und Hans Löw als Geschwisterterzett aufeinander- und auseinander driften und in drei etwa gleich langen Kapiteln ihre Befindlichkeiten ausbreiten.
Lars Eidinger mimt den arbeitsunfähigen Piloten Stefan, der seine Uniform nur noch abends in der Hotelbar anzieht, um allein reisende Frauen aufzureißen. Seltsamerweise drängt sich der Eindruck auf, dass Eidinger in seinen letzten Filmen zwar immer den zweifellos tollen Eidinger spielt,seine Figuren aber zusehends verschwimmen. Im Film wird er immer gleicher, während man ihn auf der Bühne wesentlich konturierter erlebt. Liegt es am Regisseur? Oder lässt er sich vor der Kamera nicht mehr inszenieren? Julia, die nach dem Tod ihres Sohnes schwer neurotische Schwester von Stefan und Tobias, hat eine echte Macke und rettet einen Hund nach dem anderen. Ihr liebevoller, supergeduldiger Mann Christian (Godehard Giese) fängt zum Glück irgendwann an zu schreien, sonst hätte man dieses Paar nicht länger ertragen. Schade, dass Nele Mueller-Stöfen ihrer Julia nicht ein paar Schichten mehr auf den Leib geschrieben hat. Sie klebt auf dem Gleis, das ihr zugedacht ist: tragische Figur, hysterisch, unsympathisch, manipulativ, immerhin mit angedeutetem Entwicklungspotenzial, das aber sofort ausgeblendet wird, als es kurz aufflackert – und am Schluss allzu banal den Kreis schließt. Tobias (Hans Löw) ist der ewige Student, der sich um seine drei Kinder, seine Frau, den Alltag und seine Eltern kümmert, parallel sein Philosophie – (was sonst?) – Studium abschließen möchte, darüber erschöpft einschläft und dabei selbst fast auf der Strecke bleibt. Er ist die Figur, die alles zusammenhält und subtil vermittelt, um was es eigentlich geht: Selbstbehauptung in falsch gewachsenen Strukturen, ohne sich oder die nahen Beteiligten allzu sehrzu verletzen.
Insgesamt dauert das alles sehr lang, statt Höhen und Tiefen erzählt der Film angestrengt von Höhchen und Tiefchen, bis schließlich Julia ein Kind zur Welt bringt und daraus offensichtlich psychisch gereinigt hervorgeht. Als die ebenfalls seltsame Großmutter staunend das Neugeborene im Arm hält, sieht es aus, als würde eine neue Allianz über drei Generationen beginnen – indem die zweite einfach übergangen wird. Soll die Botschaft also heißen: Leute, kriegt Kinder, auf dass sie die Welt ausbalancieren? Die armen Kinder, kann man nur denken. Was sollen sie denn noch alles können. Bessere Filme machen? ||
ALL MY LOVING
Deutschland 2018 | Regie: Edward Berger | Mit: Lars Eidinger, Nele Mueller-Stöfen, Jens Harant u. a. | 116 Minuten
Kinostart: 23. Mai
Trailer
Das könnte Sie auch interessieren:
Julia Windischbauer: Interview zum Film »Sonnenplätze«
Sisi & ich: Frauke Finsterwalder im Interview
Zwei zu eins: Kritik zum Film von Natja Brunckhorst
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton