Im Volkstheater flößt Nicolas Charaux »Warten auf Godot« einen Hauch Hoffnung ein.
Wer mit Clowns fremdelt, hat es zunächst nicht leicht mit Nicolas Charaux’ Beckett-Abend im Volkstheater. »Warten auf Godot« ist angesagt, also allenfalls eine Vorstufe von Handlung – und die ist dazu noch im besten Rentenalter. Der existenzialistisch-schwarze Bühnenrahmen ist bis auf eine rosa Riesenwurst und eine Art Baumarkt-Galgen leer – und Wladimir und Estragon agieren bei Silas Breiding und Jonathan Müller auf diese clowneske Art, bei der die Mimik noch die Gedanken malt, während Worte und Handlungen schon fließen. Das lässt Böses ahnen. Zumal Charaux im Vorfeld der Premiere den Regieanweisungen des Autors minutiös zu folgen versprach.
Das tat er auch, ließ Schuhe und Hüte – hier Mütze und Käppi – drehen, wenden, bepusten, aus- und wieder anziehen. Der Baum auf der Landstraße, auf der »Didi« und »Gogo« das endlose Warten mit derlei Aktionen füllen, hat nach der Pause Blätter, was bedeutet, dass der Galgen nun ein würfelförmiges Grün trägt, das aussieht, als hätte es Bühnenbildnerin Pia Greven im Open-World-Spiel Minecraft gepflückt. Das passt zu dem, was bei aller Texttreue anders ist am Volkstheater-»Godot«: Die Rollen, die sonst reife Schauspiel-Granden wie Heinz Rühmann oder Thomas Holtzmann spielten, sind vergleichsweise jung besetzt. Breiding und Müller sind eher melancholische Brüder von Kasperl und Seppl als Beckett-Exegeten in Landstreicherform. Und weil sie so jugendlich wirken, muss man trotz jedweden fehlenden Winks mit dem Aktualisierungszaunpfahl auch an die »Fridays for Future«-Demos denken, an das (hoffentlich nicht ganz) vergebliche Warten auf eine wirkliche politische Tat angesichts der drohenden Klimakatastrophe, die den heute Jungen die Zukunft raubt. Und wenn Becketts Stücke, die sich gegen jedes »Verstehenmüssen« sperren, ganz bei sich bleiben und dennoch Assoziationsräume öffnen, ist schon eine Menge gelungen.
Ohnehin wird das Spiel der beiden immer nuancierter und dichter, je länger der Abend voranschreitet, rücken die unvermittelte Wut auf den anderen und eine seltsam verhuschte Form der Zärtlichkeit immer weiter aneinander. Und wenn Müller mit der Mundharmonika eine kleine Sehnsuchtsmelodie anstimmt, der Breidings schelmische Kastagnette eine Handvoll leise Klapperer hinterherschickt, weht fast etwas wie Hoffnung durch Becketts Sinnvakuum.
Das Feine wirkt aber auch deshalb so fein, weil Jakob Geßner den reichen Pozzo spielt, und zwar so, wie Geßner so etwas meistens macht: Er gibt dem Affen Zucker, plustert sich im goldlamellierten Jäckchen wie im übergroßen Pelzmantel mit diabolisch rollenden Augen auf, spuckt die Worte gallig heraus und reißt alles Clowneske an sich. Jonathan Hutterdagegen ist als nickelbebrillter Lucky Pozzos bibbernder Sklave, aber auch der Intellektuelle, auf den in Zeiten wie dieser wieder mal keiner hört. Über die Tatsache, dass Herren, Sklaven und wir alle heillos miteinander verstrickt sind, sagt uns Charaux nichts Neues, seine Wiederholung des bereits Gesagten kommt aber angenehm frisch daher. ||
WARTEN AUF GODOT
Volkstheater| 21., 22. Mai, 4., 5. Juni| 19.30 Uhr
Tickets: 089 5234655
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