Die britische Journalistin Reni Eddo-Lodge analysiert Rassismus als Angst vor Machtverlust.
Wie macht man jemandem ein Unrecht klar, von dem dieser jemand eigentlich nichts wissen will und das er nie am eigenen Leib erfahren hat? Man redet nicht mehr mit ihm über die Sache. Zumindest fing es so an, als die Journalistin und Bloggerin Reni Eddo-Lodge am 22. Februar 2014 auf ihrem
Da lehnen wir uns jetzt alle gemütlich zurück. Betrifft uns ja nicht. Aber Eddo-Lodge weist nach – manchmal irritierend emotional –, dass genau wir das Problem sind. Nicht die offenkundigen Rassisten von rechts, sondern wir, die wir uns für die progressive Speerspitze aufgeklärten Denkens halten. Denn
unsere »Absicht ist es oft nicht, zuzuhören oder etwas zu lernen, sondern Macht auszuüben, mir nachzuweisen, dass ich mich täusche, mich emotional zu erschöpfen und den Status quo zu stärken.« Und der Status quo ist immer noch der, dass Weiße de facto in der Schule, bei der Wohnungssuche und im Beruf bevorzugt werden. Aus lauter Angst, unsere Privilegien, derer wir uns gar nicht bewusst sind, zu teilen, verhindern wir Maßnahmen, um gezielt Menschen anderer Hautfarbe und Herkunft zu fördern, meint Eddo-Lodge. Und schlimmer noch: Wir merken es nicht einmal.
Im ersten Kapitel »Geschichte(n)« erzählt Eddo-Lodge die Geschichte von People of Colour im Vereinigten Königreich. Und desillusioniert den Leser, der Großbritannien für eine Insel der Seligen hält, zumindest was das Zusammenleben Menschen verschiedenster Herkunft betrifft. Sie konzentriert sich vor allem auf das 20. Jahrhundert und die Einwanderung von Bürgern des Commonwealth ins »Mutterland«, die gerne gerufen wurden, wenn man Soldaten für Kriege benötigte. Sobald der Staat diese Männer aus der Karibik, Indien oder Afrika nicht mehr brauchte, unterlagen sie systematischer Ausgrenzung und willkürlicher Polizeigewalt. Also entwickelte sich bereits 1931 mit der vom Arzt Harold Moody gegründeten League of Coloured People eine Bürgerrechtsbewegung, die gegen Rassismus kämpfte.
Im zweiten Kapitel widmet die Autorin sich dem Rassismus in staatlichen Strukturen. Als Ausdruck dieses Systems analysiert sie den Mord an dem 18-jährigen Schwarzen Stephen Lawrence, der 1993 von weißen Rassisten erstochen wurde. Polizei und Staatsanwalt schaft verschleppten den Fall systematisch, erst 2012 wurden zwei der fünf Täter (die von Anfang an bekannt waren) verurteilt. Um solche ungerechten, rassistischen Strukturen aufzulösen, sagt Eddo-Lodge, »müssen wir Hautfarbe sehen.« Und akzeptieren, dass »White Privilege« (»die Abwesenheit der negativen Folgen von Rassismus«) existiert. Für Eddo-Lodge ist Rassismus kein isoliert zu betrachtendes Problem, in den Kapiteln »Die Feminismusfrage« und »Hautfarbe und soziale Klasse« analysiert sie die Benachteiligung und die nicht aktive Förderung von Armen, Frauen, People of Colour, Behinderten als System, das »nur ein paar eigennützigen raffgierigen Wenigen«, sprich den Kriegsgewinnlern des Kapitalismus dient. Nicht ohne ihre Erkenntnisse mit Studien und Zahlen zu untermauern.
Reni Eddo-Lodge macht aus ihrer Empörung und Verzweiflung keinen Hehl, die sie angesichts einer gönnerhaft herablassenden weißen Mitte befällt, die gerne behauptet, Hautfarbe spiele keine Rolle. Für sie ist Rassismus »ein Problem in der Psyche des Weißseins und Weiße haben die Verantwortung, es zu lösen«. Damit meint die Britin nicht nur andere Briten. Sie meint jede Mehrheitsgesellschaft, die Menschen das Gefühl gibt, nicht dazuzugehören, weil sie anders aussehen,andere Namen oder eine andere Herkunft haben. Vielleicht existierten sogenannte Paral lelgesellschaften gar nicht, wenn wir Eddo-Lodges leidenschaftliches Plädoyer für Antirassismus beherzigen würden. ||
RENI EDO-LODGE: WARUM ICH NICHT LÄNGER MIT WEISSEN ÜBER HAUTFARBE SPRECHE
Tropen, 2019 | 263 Seiten | 18 Euro
Das könnte Sie auch interessieren:
Zwischen Welten: Kritik zum Roman von Juli Zeh und Simon Urban
Dieter Wieland: Alle Filme in der BR-Mediathek
»Engel in Amerika« im Residenztheater
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton