Krieg und Trauma halten Einzug ins Festival Radikal jung im Volkstheater. Vor allem aber wird das Theater gefeiert.
Radikal jung 2025
Spielt, spielt, sonst sind wir verloren!

In »Nestbeschmutzung«vom Institut für Medien, Politik und Theater (v.l.: Anna Wielander, Felix Hafner, Jennifer Weiss) wird nicht nur geraucht, sondern auch getanzt © Bettina Frenzel
2005, vor 20 Jahren, gab es die erste Ausgabe des Radikal-jung-Festivals am Münchner Volkstheater. Die Idee: junge Regisseur*innen in einem Buch zu porträtieren und ihre Inszenierungen im Festivalrahmen zu zeigen und zu diskutieren. Was auf Initiative des damals neuen Volkstheaterintendanten Christian Stückl als kleines Nischenfestival begann, ist inzwischen zu einer festen Institution im Münchner Kulturleben geworden. Und auch wenn die Finanzierung in diesem von Sparplänen bestimmten Jahr schwierig ist und über der Zukunft ein Fragezeichen schwebt: Das diesjährige Programm kann sich mit 14 eingeladenen Produktionen in acht Tagen sehen lassen.
Die neu formierte Jury, bestehend aus den Theaterkritiker*innen C. Bernd Sucher und Christine Wahl sowie den Dramaturg*innen des Volkstheaters Hannah Mey und Leon Frisch, hat über 50 Inszenierungen gesichtet und daraus ihre Auswahl getroffen. Eine ausgewogene Mischung aus Klassikern, Stückentwicklungen, Performances – und jede einzelne Produktion mit einem besonderen Dreh. »Die Jury hat nach besonderen, neuartigen Formsprachen gesucht, nach radikalen Inhalten und Zugriffen und nach herausragendem Umgang mit unterschiedlichsten Textformen«, so die selbstbewusste Ansage: »Zahlreiche Arbeiten von Rechercheproduktionen, performativen und autobiografischen Arbeiten über selbst entwickelte Stücke und starke konzeptuelle Zugriffe klassischer Theatertexte zeigen ein breites Tableau einer jungen Regiegeneration.«
Dabei sind einige alte junge Bekannte wie Ran Chai Bar-zvi, der im vergangenen Jahr mit »Das große Heft« zu Gast war und dieses Jahr seine »Caligula«-Version zeigt, beides Produktionen des Münchner Volkstheaters. Im Text von Albert Camus hat er die Geschichte eines Herrschers gefunden, der außer Rand und Band gerät, sich selbst zum Gott erhebt und nur um sich duldet, wer ihn und mit ihm feiert. Beinahe eine Parabel auf neues altes männliches Machtgebaren, das gerade wieder en vogue zu sein scheint.
Eröffnet wird das Festival mit Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür« vom Düsseldorfer Schauspielhaus in der Inszenierung von Adrian Figueroa, der vergangenes Jahr mit Wolfgang Herrndorfs »Arbeit und Struktur« zu Gast beim Festival war. Figueroa sucht in dem Kriegsheimkehrerstück nach Antworten auf universelle und überzeitliche Fragen wie den Auswirkungen von Kriegsgewalt auf die Menschen, dem Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt und der Möglichkeit eines Pazifismus. Einem ganz ähnlichen Thema widmet sich Azeret Koua in der Inszenierung »rhapsody« am Theaterhaus Jena, wenn auch auf komplett andere Art und Weise: Ihre Arbeit spielt mit Horror und Surrealismus, begibt sich in ein traum- oder albtraumhaftes Spiel mit Wirklichkeiten und Popkultur.
Neu dabei ist auch Lulu Obermayer mit ihrer Performance »Rachel und ich«, die sich mit ihrer Freundschaft zur US-amerikanischen Therapeutin und Performerin Rachel Troy auseinandersetzt. Die beiden konfrontieren sich mit dem Holocaust, mit den Nachwirkungen historischer Traumata und intergenerationaler Narrative und der Frage, was ihre eigenen Identitäten prägt. Die Produktion verwandelt das Theater in einen Ort der Erinnerungskultur, verwebt Persönliches und Politisches, Vergangenheit und Gegenwart.
Aus Wien kommen gleich zwei Produktionen: Das Institut für Medien, Politik und Theater, das 2023 seine »Gondelgschichten« zeigte, beschäftigt sich nun in seiner neuen Recherchearbeit »Nestbeschmutzung« am Kosmos Theater mit Machtmissbrauch in der österreichischen Kulturbranche. Und Calle Fuhr ist mit seinem investigativen Abend »Aufstieg und Fall des Herrn René Benko« vom Wiener Volkstheater zu Gast.
Ein weiterer Städteschwerpunkt ist Berlin, wo die Jury drei bemerkenswerte Inszenierungen entdeckt hat: Von der Volksbühne am RosaLuxemburg-Platz kommen gleich zwei Inszenierungen nach München: Meo Wulf reist mit seiner musikalischen Performance »Sally – Mein Leben im Drag« an, in der sich Sally auf eine Drag-Lesung für Kinder vorbereitet und sich allerlei Gedanken macht über Sexualität und Kunst, sich in einem Wirrwarr von Zuschreibungen und Ängsten wiederfindet, obwohl sie eigentlich nur eine Geschichte lesen wollte. Und Kurdwin Ayub zeigt ihr futuristisches Erotikabenteuer »Weiße Witwe«. Vom Berliner Ensemble kommt Leonie Rebentischs Adaption des DDR-Romans »Gittersee« von Charlotte Gneuß. Ein »Glücksfall«, wie es in der Süddeutschen Zeitung hieß.
Insgesamt legt das Festival großes Augenmerk auf die Krisen der Gegenwart, stellt sich schweren Themen und macht die Absurditäten und Widersprüche sichtbar. So widmet sich Lola Fuchs in ihrer Selbstoptimierungsgroteske »Der Dämon in dir muss Heimat finden« am Theater Dortmund einer Paketshopbetreiberin, die sich der Tristesse ihres Daseins verweigert und ihr Glück in Parfumflakons und allerlei obskuren Bewusstseinserweiterungen sucht.
Aus Aachen kommt Antigone Akgüns Adaption von Dinçer Güçyeters »Unser Deutschlandmärchen«, diesem feinen Roman über das schwere Ankommen einer Gastarbeiterfamilie in Deutschland, über Sehnsucht und Entwurzelung. Marie Schleef, die letztes Jahr an den Kammerspielen »Die Möglichkeit des Bösen« inszenierte, ist mit ihrer Performance »Er putzt« vom Staatstheater Wiesbaden zu Gast, die jede Menge Slapstick und Humor jenseits der Sprache verspricht.
Das alles macht Lust auf Theater. Und an der mangelt es zumindest an diesem Haus ohnehin nicht. Am Volkstheater läuft es. Die Auslastung liegt bei über 90 Prozent, das neue Haus wird in der Stadt angenommen. Bleibt zu hoffen, dass Theater- und Kulturfeste wie das Radikal-jung-Festival auch in Zukunft finanziert werden. In diesem Sinne: Danke, Volkstheater. Danke, München, für die Möglichkeit, mal wieder über den theatralen Tellerrand blicken zu können. Es tut dieser Stadt gut, der Trubel, der Spaß am Miteinander, die Lust auf neue Impulse und die Auseinandersetzung mit verschiedensten Ästhetiken. Das Festival gehört seit 20 Jahren zu München. Am Volkstheater kämpfen sie dafür, dass es erhalten bleibt. In diesem Sinne: Kämpfen wir mit, gehen wir hin, feiern wir die Kultur! ||
RADIKAL JUNG
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 27. April bis 4. Mai | Tickets: 089 5234655
Weitere Vorberichte und Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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