Hollywood und die Klatschpresse gaben Pamela Anderson nie eine Chance. Die Schauspielerin hat sie trotzdem ergriffen und macht die wunderbare Traumfabrik-Elegie »The Last Showgirl« zu einem Akt der Selbstermächtigung, der zeigt: Ehrlichkeit und Glamour müssen keine Gegensätze sein.

The Last Showgirl

There’s No Business Like Show Business

the last showgirl

Shelly (Pamela Anderson) lässt sich von den Widrigkeiten des Showbusiness nicht entmutigen | © Constantin Film / Courtesy of Goodfellas

Wie alt sie sei, fragt der Castingdirektor die Tänzerin Shelly. Sie steht alleine auf der leeren Bühne. Ein Scheinwerfer ist auf sie gerichtet und sie blinzelt ins Licht. »36«, entgegnet sie, doch ihre Antwort klingt wie eine Frage. Sie sammelt sich kurz und gibt zu: »Ich weiß nicht, weshalb ich gelogen habe. Ich bin nervös.« Shelly lächelt, doch ihre Lippen zittern. »Ich war schon lange nicht mehr bei einem Casting«, stellt sie fest – und schiebt hinterher: »Ich bin 42.«

Auch das ist gelogen. Doch wer ihr nun voreilig Eitelkeit unterstellt, tut Shelly unrecht. Ihre Verzweiflung geht tiefer und eröffnet einen ungeschönten Blick hinter die Kulissen einer Branche, die widersprüchliche Maßstäbe zu allgemeingültigen Standards erhoben hat: Frauen wie sie sollen sich eine Karriere aufbauen und auf eigenen Beinen stehen, aber trotzdem voll und ganz für ihre Ehemänner da sein. Sie sollen erfolgreich sein, und sich trotzdem für ihre Kinder aufopfern. Und natürlich müssen sie anständig und anmutig sein, aber trotzdem verrucht und sexy.

Für die alleinstehende Shelly geht es hier also nicht nur um eine Rolle auf einer beliebigen Bühne in Las Vegas. Für sie steht alles auf dem Spiel: ihr Einkommen, ihr Selbstverständnis als Künstlerin und Mutter und letztlich nichts weniger als ihr Lebenstraum. Wie sich das anfühlt, das weiß die kanadische Schauspielerin Pamela Anderson nur zu gut. Wie kaum ein anderer Star musste sie diesen unmöglichen Kampf seit den 1990erJahren unter ständiger Beobachtung der Öffentlichkeit austragen – Erniedrigungen, Ausbeutung und Häme inklusive.

Und so spielt Pamela Anderson Shelly nicht nur, sondern geht auf in einer Rolle, die ihr wie auf den Leib geschneidert ist.Ihr dabei zuzusehen, wie sie all die Gegensätze und Unsicherheiten zu einer lebendigen und zutiefst nachvollziehbaren Figur zusammensetzt, ist eine Wucht: Hinter der abgeklärten Fassade blitzen immer wieder ihre romantische Ader und ihr Witz durch, mal zeigt sie sich durchsetzungsfähig, dann wieder verletzlich, mal harsch und dennoch einfühlsam.

»The Last Showgirl« hat die amerikanische Filmemacherin Gia Coppola diese wunderbare Elegie über die Schattenseiten der Traumfabrik genannt. Shelly ist seit bald 30 Jahren Teil der legendären Revue »The Razzle Dazzle«, die den Glamour des französischen Moulin Rouge nach Las Vegas bringen sollte. Einst war Shelly der Star der Show. Ihr Foto von damals ziert auch heute noch die Werbetafeln. Mit 57 ist sie allerdings mittlerweile die Dienstälteste und deshalb auf der Bühne in die letzte Reihe der Tänzerinnen gewandert. Nun soll die Show abgesetzt und durch einen Zirkus ersetzt werden.

Shellys Welt gerät ins Wanken: In ihrem Alter noch mal ein festes Engagement zu bekommen, wird schwer. Ihre beste Freundin Annette ist schon vor Jahren ausgestiegen und serviert nun im Casino Cocktails – allerdings nur noch in den Morgenstunden, wenn kaum noch Publikum da ist. Die lukrativen Schichten bekommen auch hier nur die jüngeren Kolleginnen. Doch für Shelly kommt kein anderer Job in Frage. »Ich bin Künstlerin«, wird sie im Film wie ein Mantra wiederholen, als ob sie sich selbst noch davon überzeugen müsste. Sie erntet dafür abwechselnd mitleidige, abschätzige und belustigte Blicke. Selbst in den Augen ihrer Tochter ist sie, das in die Jahre gekommene Showgirl aus Las Vegas, eine Lachnummer.

Nicht nur vom Gefühl, immer nur als Witzfigur behandelt zu werden, kann Pamela Anderson ein Lied singen, sondern auch davon, was passiert, wenn man selbst anfängt zu glauben, was die Presse und die Öffentlichkeit über einen sagen. Selbst heute, beinahe 35 Jahre später, ist ihr Image noch von den Bildern und Storys geprägt, die in den 1990er-Jahren kursierten und sie zur berühmt-berüchtigten Ikone machten, irgendwo zwischen Marilyn Monroe und Rockerbraut.

Hugh Hefner holte Anderson 1989 aus ihrem Heimatort in British Columbia nach Los Angeles. Insgesamt 14 Mal war sie auf dem Cover des »Playboy« zu sehen. Die Rettungsschwimmerserie »Baywatch« machte sie 1992 endgültig zum Sexsymbol. Die kurze, aber heftige Ehe mit dem Rockstar Tommy Lee füllte die Klatschspalten und kulminierte 1996 im berüchtigten Sex-Tape-Skandal: Ein privates Video aus den Flitterwochen des Paares war aus einem Safe in der gemeinsamen Villa gestohlen und als Erotikfilm vermarktet worden. Ein Gericht wies die Klage von Anderson und Lee ab. Persönlichkeitsrechte: Fehlanzeige, denn Anderson habe sich ja zuvor schon nackt ablichten lassen – selber schuld. Die Klatschpresse jubelte.

Andersons Auftritte bei TV-Größen wie Jay Leno und David Letterman strotzen vor verbalen und auch körperlichen Übergriffen. Ihre Bitten, damit aufzuhören, gehen unter im Gejohle des Publikums. Wer fragt, wieso Pamela Anderson die öffentlichen Erniedrigungen und den Spott über sich hat ergehen lassen und dazu noch brav in die Kamera kicherte, stellt nicht nur die falsche Frage, sondern ist Teil des Problems. Die Häme und Ausbeutung halten auch heute noch an: 2022 erschien die Serie »Pam & Tommy«, die den Skandal zu einer Erfolgsgeschichte umschreibt, in der aus einer gestohlenen Videokassette das erste virale Onlinevideo aller Zeiten wird. »Das war Salz in die Wunde«, erzählt Anderson im Dokumentarfilm »Pamela, A Love Story« (2023).

Die Frage muss also lauten: Wie hat Anderson die sexistischen und misogynen Angriffe so lange ausgehalten? »Einen Job zu machen, den man nicht liebt – das ist schwer«, sagt Shelly im Film einmal zu ihrer entfremdeten Tochter Hannah. Diese studiert Fotografie, doch ihre Stiefmutter drängt sie zu einem handfesteren Beruf. Nur langsam versteht Hannah, dass Shelly zwar eine schlechte Mutter war, aber immer ihr Bestes gegeben hat.

Auch deshalb ist das Casting für Shelly so wichtig: Trotz aller Kritik an ihren Lebensentscheidungen und trotz eines Lebens als soziale Außenseiterin, weiß sie, dass sie nicht aus ihrer Haut kann, und will sich nicht mehr dafür schämen: »Sich gesehen fühlen, sich schön fühlen – das macht stark. Und ich kann mir mein Leben nicht ohne dieses Gefühl vorstellen.«

Sie habe mühsam lernen müssen, dass sie mehr ist als die Summe all dieser Storys und dass sie ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen darf, berichtet Anderson im Dokumentarfilm. Nachdem sie jahrzehntelang die ihr aufgezwängte Rolle gespielt hatte, erfüllte sie sich 2022 schließlich einen eigenen Traum: Im Musical »Chicago« gab sie ihr Broadway-Debüt. Publikum wie Kritik waren begeistert. Von einem fulminanten Comeback war die Rede, von einer zweiten Chance.

Anderson betont, dass sie sich nicht als Opfer sehe, das rehabilitiert werden müsse, sondern als Kämpferin. Und so ließ sie sich diesmal auch in keine vorformulierte Story zwängen: Hollywood und die Klatschpresse gaben ihr nie eine Chance als Schauspielerin, wie sollte sie da schon bei der zweiten angelangt sein? Sie hat sich ihren Traum selbst geschaffen – und das zu ihren eigenen Bedingungen. Mit ihrer Rolle in »The Last Showgirl« ist sie da angekommen, wo sie immer hinwollte. ||

THE LAST SHOWGIRL
USA, 2024 | Regie: Gia Coppola | Drehbuch: Kate Gersten | Mit Pamela Anderson, Dave Bautista, Jamie Lee Curtis, Kiernan Shipka, u. a. | 89 Minuten | Kinostart: 20. März

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