Blut- und glutvoll: Jan-Christoph Gockels vogelwilde Vampirkomödie »Oh Schreck!« spart weder an Splattereffekten noch an metatheatralen Anspielungen

Oh Schreck!

»Menschenentsafter« (fast) unter sich

oh schreck

Vampirjägerin Kristine Van Helsing (Katharina Bach) hat Vampir Max Schreck (Johanna Kappauf) erwischt | © Armin Smailovic

Auftritt Kristine Van Helsing: Was für ein grandios verschusseltes Vampirjägerinnen-Exemplar Katharina Bach da auf die Bühne der Münchner Kammerspiele zaubert! Zwischen von ihr selbst geschriebenen, sich pudrig auflösenden Wortlawinen lässt sie ihren Knoblauch fallen und würgt, wenn sie »Populärkultur« sagen muss. Dass diese konfuse Traditionalistin in den sweeten, von Johanna Kappauf gespielten Vampir Max Schreck verliebt ist, wirkt wie eines ihrer vielen Versehen. Und allzu weit ist es damit dann auch nicht her.

Lineare Erzählungen und emotionale Folgerichtigkeit interessieren den Hausregisseur Jan-Christoph Gockel wenig, dessen inhaltlich wie sinnlich überbordendes Theater dafür auf die mitreißendste Art den Faden verliert. Dass er Budenzauber kann, beweist Gockel auch in »Oh Schreck!«, wo er ihn in einem theatral eher geschmähten Genre findet. Dafür haben Gockel und sein Team ein ehemaliges Ensemblemitglied ausgegraben: Max Schreck, seit 1919 und bis zu seinem frühen Tod 1936 verschiedentlich an den Kammerspielen beschäftigt, spielte 1922 den Vampirgrafen Orlok in F. W. Murnaus »Nosferatu«-Film. Eine Rolle, die ihm ihren Stempel aufdrückte und ihn, behauptet der Abend, immer noch in den Eingeweiden des Theaters herumspuken lässt. Sprachlos, weil Stummfilmstar. Untot, weil ein echter Vampir. Und damit ist er nicht allein.

Anknüpfend an die Feuilletondebatte um das »blutleere Theater«, das unter Barbara Mundel am Haus gepflegt werde, outet sich hier das Gros des Ensembles als »Menschenentsafter«. Nur das ewig vitale Kammerspiele-Urgestein Walter Hess (*1939) – hier als Walther von der Hess – ist »aus tiefster Überzeugung Mensch geblieben«, aber nach unzähligen Jahren am Haus so gut im So-tun-als-ob, dass ihm die untoten Kolleg*innen noch nicht auf die Schliche gekommen sind. Allein Hess’ launiges, flirrendes Eingangssolo lohnt den Besuch dieser »Vampirkomödie«, deren besondere Ästhetik sich dem Erfolgsteam von »Green Corridors« verdankt – inklusive Anton Bermans kongenial-vielfältiger Livemusik und Sofiia Melnyks Livezeichnungen. Auch die Puppen von Michael Pietsch sind wieder dabei: Lebensgroß, in verkohlt wirkendem Schwarz-Weiß, haben die Schauspieler*innen sie vor ihre Körper geschnallt. Im expressionistischen Set, in dem Gastregisseur Wolfgang (Sebastian Brandes) ein »Nosferatu«-Remake drehen will, stellen sie die Menschen dar. Doch Wolfgangs verführerisch riechende blutende Hand und der unstillbare Durst von Frangiskos Kakoulakis’ Vlad kommen immer wieder dazwischen. Oder der Frust der Regieassistentin (Leoni Schulz), die zwar ausgenutzt wird bis aufs Blut, aber viel lieber gebissen würde, um den Gegenwartskrisen zu entgehen.

Der Abend ist ein rasanter und meist sehr lustiger SplatterHorror-Mix, durchsetzt von kurzen Filminterviews mit den Schauspieler-Vampiren. Herrlich staubtrocken: Jelena Kuljić als dandyhafte Svetlana, die schon alle Regierungsformen gesehen hat und immer noch an ihrem Vampir-Coming-out arbeitet. Immer wieder hat die knallige Farce Platz für Seitenhiebe auf politische Blutsauger verschiedener Couleur und sogar für Poesie. Wie Thomas Köcks »Proteus 2481« nur wenige Wochen zuvor begegnet sie den Presse-Schlägen ins »Wokeness«-Kontor der Kammerspiele mit quirliger, intelligenter Unterhaltung. Das ist verständlich und sicher befreiend, aber auch ein bisschen zu selbstbezüglich. ||

OH SCHRECK!
Kammerspiele | 13., 17., 19. März | 20 Uhr | Tickets: 089 23396600

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