Das Museum der Moderne Salzburg widmet Rose English der Grande Dame der feministischen Performance eine Ausstellung.
Rose English
Mit Wimpern klimpern

Rose English und Sally Potter: »Berlin – Part Four: The Arguments (at home)« | 1976 | Silbergelatineabzug auf Papier, Foto: Paul Derrick, Courtesy of Rose English Studio Archive (2)
Der tiefste Eindruck, den die Ausstellung hinterlässt: Rose English ist schwer zu fassen, so verstörend, so eklektizistisch ist auf den ersten Blick die Bildwelt der Künstlerin. Sie betrat in den 70er Jahren inmitten der europaweiten feministischen Kämpfe um politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen im Nachklang der Studentenbewegung ihre Bühne in London. Eine Bühne? Stets site-specific! Sie setzte ihre Arbeiten, die gleichermaßen politisch provozierend wie poetisch, bisweilen albtraumhaft gewirkt haben müssen, überall da, wo sie sie am besten platziert sah. In einer privaten Wohnung wie im Schwimmbad, in der Natur, in Parks, auf konventionellen Sprechtheaterbühnen, auf Reitturnierplätzen.
Die Ausstellung in Salzburg stützt sich auf multimediale Installationen mit fast 100 Exponaten, um einen Einblick in Englishs einzigartiges Lebenswerk zu gewähren. Ihre Ausdrucksweise ist die damals noch neue Form der Performance. Ein offenes, vom »Hier und Jetzt«-Erleben der Zuschauer abhängiges Format mit nicht linearer Dramaturgie, das seine Wirkung durch die direkte physische Präsenz, seine Unmittelbarkeit und sein Improvisationspotenzial erzielt, aus dem Moment geboren, kurz aufgetaucht und schon wieder vorbei. Als provokative, erotische und exzentrische Protagonistinnen entwarf sie ihre weiblichen Figuren in Fantasiekostümen, oft Wesen zwischen Mensch und Tier, Hochseilartistinnen, entrückte Fantasy-Charaktere, zuweilen mit Flügeln bestückte Feen, Showgirls, Magierinnen. Selbst die letztlich unzureichenden Foto- und Videodokumente und Installationen, die von den Liveacts übrig geblieben sind, zeigen: English kommunizierte mit Charme und Humor, bissigem Witz und Nonchalance.
In der machtvollen, prächtigen und verführerischen Kreation ihrer Frauenwesen, die die Künstlerin oft selbst (mit) verkörpert, bedient sie sich bei allen Traditionen der darstellenden und bildenden Kunst, beim Zirkus, beim Varieté und Vaudeville, beim Cabaret, mit Vorliebe bei der Pferdedressur und bei Pferdeshows, vom Barock bis zum Jugendstil – auch beim Ballett. Sie hegt dabei eine große Liebe zu einfachen wie kunstvollen, signifikanten und farbenprächtigen Materialien – in den Vitrinen liegen beispielsweise ein riesiger roter Plastikkamm, paillettenbesetzte Pfeifen, ein Paar falsche Riesenwimpern in Samtschachtel, 15 Paar abgeschnittene Riesenwimpern, ein roter Sombrero, eine große Schere, Wimpern in Form von Peitschen, Blumen, sechs Paar falsche Wimpern auf Federhalterungen aus Messing. Die Objekte und Requisiten verwendet sie, um die Schönheit, Wandlungsfähigkeit und Verführungsmacht der Frau in ihren historischen Rollen und männlichen und weiblichen Zuschreibungen offenzulegen, quasi als Gegenimpuls zu jahrhundertelanger Unterdrückung und Einschränkung. Sie nutzt dieses schillernde visuelle Spektrum, das bei ihren Ausgrabungen sowohl fremdbestimmter als auch ureigener weiblicher Bilder zum Vorschein kommt, für ihre damals revolutionäre body-politische Sicht auf die Frau in einer patriarchalisch geprägten frauenfeindlichen und Frauen gegenüber gewalttätigen Gesellschaft. Insofern sehen die Kuratorinnen Marijana Schneider und Lisa Moravec die Ausstellung auch programmatisch für das Museum der Moderne, das sich explizit kritisch mit der Ungleichheit der Geschlechter auseinandersetzt.

Rose English: »My Mathematics – performance to camera (giant eyelashes)« | 1992 | Silbergelatineabzug auf Papier | Foto: Gavin Evans
Die multimediale Ausstellung über Rose Englishs Werk veranschaulicht den komplexen künstlerischen Kosmos einer kämpferischen, poetischen Individualistin, die andrerseits davon profitiert, dass sie schon während ihres Kunststudiums ihre Liebe zum interdisziplinären, kooperativen Arbeiten entdeckt: mit der Regisseurin Sally Potter (»Orlando«), Schnitttechnikern wie Simon Vincenzi, Fotografen wie Hugo Glendinning oder ihren Performerinnen.
Aus Englishs Faszination für das Ballett und die Pferdedressur, die beide ihre Wurzeln im barocken Festspektakel haben, lebendige Wesen in artifizielle Bewegungen drillen, sie zu gehorsamen dressierten Äffchen machen, entstehen ihre ersten berühmten Arbeiten: die Performance »Quadrille« (1975), die sie anlässlich eines Reitturniers auf dem Lande inszeniert und die einen Skandal auslöst, weil sie ihre Protagonistinnen in anrüchig-provozierende Kostüme steckt. Die lassen – das zeigt der in der Ausstellung gezeigte Film – den Körper halb nackt, erinnern an Pferdedecken, Halfter und Strapse. Die Frauen staksen statt in Spitzenschuhen auf echten Pferdehufen und mit angebundenem Schweif durch das Spielfeld. 1992 brilliert sie mit ihrem spektakulären »Solo mit Pferd«, betitelt »My Mathematics«, das sie weltweit auf konventionellen Theaterbühnen aufführt, immer wieder mit einem anderen Pferd unter der lauernden und künstlerisch klug einkalkulierten Gefahr, dass das Tier nicht so mitspielt wie erwartet.
Was sie von vielen anderen PerformancekünstlerInnen unterscheidet, ist auch ihr Arbeitsprozess: Zur Performance gehören das Ausstellen des Reflexions- und Schaffensprozesses, vorbereitende Arbeiten, Materialien, Videos der Frauen beim Anlegen der Kostüme, beim Proben, die Liveperformance selbst, die Reaktionen der ZuschauerInnen, das verbrauchte herumliegende Material, Texte, Fotos des Stückes. Kommentare vor, während und nach der Performance werden zur »Geschichte« des Werkes. Dennoch bleibt die Schwierigkeit in der Rezeption dieses liebevoll und sachkundig konzipierten Parcours, dass sich die Performance als Kunstform mehr als jede andere Kunst der Archivierung verweigert. Das Faszinierende der historischen Liveacts will sich nicht übertragen. Die kunstvollen, aktuell von der Künstlerin selbst geschaffenen Arrangements, Installationen und Szenerien all der historischen Dokumente vermögen die Schlagkraft der Performances nicht zu transportieren. Die erotische Komponente der Unmittelbarkeit in einer überraschenden Situation (Plötzlich in Pracht beginnen eben) kann die noch so sorgfältig strukturierte Präsentation des historischen Materials nicht ersetzen. Als Besucher bedauert man das. Der Spaß dieser Ausstellung liegt darin, Rose English überhaupt zum ersten Mal zu begegnen, die leider in Deutschland bisher an uns vorbeigegangen ist. ||
PLÖTZLICH IN PRACHT BEGINNEN. ROSE ENGLISH: PERFORMANCE, PRÄSENZ, SPEKTAKEL
Museum der Moderne | Mönchsberg 32, A-5020 Salzburg | bis 4. Mai | Di bis So/Fei 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Kuratorinnenführung: 24. April, 18 Uhr | Familienführung: 30.3., 10 Uhr (telef. Voranmeldung) | Die Begleitpublikation (160 Seiten, 80 Abb., DISTANZ Verlag) kostet im Museum 41 Euro
Weitere Besprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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