Der Bratschist Kelvin Hawthorne hat mit »New American Chamber Music« eine ungewöhnliche Konzertreihe lanciert, mit neuen Folgen.
New American Chamber Music
Die Transatlantiker

Kelvin Hawthorne, Bratschist und Netzwerker © Kelvin Hawthorne
Die USA haben die Musikgeschichte geprägt. Jazz, Soul, Hip-Hop, große Popproduktionen waren für die Musikentwicklung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die bahnbrechende Neuerung. Nur mit dem Blick auf die Klassik läuft es fast immer noch nur andersherum. Da steht die europäische Klangtradition Pate für den Standard der klassischen Musikausbildung und die Praxis im Konzertsaal. An der JuilliardSchool in New York studiert man genauso Beethoven wie an der Münchner Musikhochschule.
Und doch gibt es mit der Minimal Music wenigstens eine genuin US-amerikanische Musikströmung in der Klassik. Sie ist ästhetisch auch noch ziemlich besonders. Denn während man sich im westlichen Nachkriegseuropa in der Neuen Musik eher darauf spezialisierte, der Musik sämtliche Melodie und damit sämtliches Pathos zu nehmen, entwickelten Terry Riley und im Anschluss Steve Reich und Philip Glass eine doch sehr zugängliche, ja beinahe poppige Art, Neue Musik zu komponieren, der es auch aufgrund ihres strukturell völlig neuen Ansatzes nicht an Anspruch fehlte.
Kelvin Hawthorne, in New York geboren, kam 1987 nach München und war bis zu seiner Pensionierung Solobratschist im Münchener Kammerorchester. 2022 hat er die Konzertreihe »New American Chamber Music« im Schwere Reiter ins Leben gerufen. Es gebe so viele Komponistinnen und Komponisten in Amerika, die hier nicht bekannt sind, sagt er. Und als Amerikaner habe er da eine gewisse Zuständigkeit gefühlt, diese Musik auch hier zur Aufführung zu bringen. Außerdem würden die Minimalisten hier bisweilen als ein bisschen kitschig eingestuft. Doch für Hawthorne zeigen sich da nur zwei völlig unterschiedliche Weisen zu komponieren. Während man also im Nachkriegsdeutschland, sicherlich als Antwort auf den Missbrauch der emotionalen Wirkung von Musik durch die Nazis, eher von einem intellektuellen Konzept ausgehend komponierte, gehen die US-Minimalisten von einer gewissen Emotionalität aus. »Ich wollte zeigen, dass etwas nicht vom Kopf ausgehen und trotzdem einen Inhalt zeigen kann«, erklärt Hawthorne einen wichtigen Hintergrund seiner Programmgestaltung.
Die Musik, die Hawthorne hier mit dem eigens dafür gegründeten Kammerensemble »A Straight Line« aufführt, ist dabei keineswegs seicht. Es ist vielleicht sogar schwieriger, Kompositionen heute eine Tiefe zugeben, obwohl man harmonisch arbeitet und emotionale Anker und Effekte in der Musik schätzt. Im Frühjahr stehen nun das siebte und achte Konzert der Reihe an. Zwei Programme, die sich thematisch um die sogenannte »New York School« drehen, begründet von Komponisten wie John Cage, Morton Feldman und Christian Wolff. Im ersten Konzert wird dabei die Entwicklung von Morton Feldman und James Tenney mit einem Streichquartett von 1984 und einem Stück für Kammerensemble von 1970 bis in die Gegenwart und nach Europa verfolgt. Der 1980 geborene Tyshawn Sorey – in seinem anderen Leben ein renommierter Jazzschlagzeuger – ist mit einem Streichquartett von 2018 dabei und von der in München studierenden Eva Kuhn wird es eine Uraufführung geben. Das zweite Konzert ist Christian Wolff gewidmet, mit Werken von Cage und Wolff, der ebenfalls zu diesem Anlass ein neues Stück schreiben wird. Wie ein Gruß aus der Vergangenheit wirkt eine derart schöne, transatlantische Verbindung, voller humanistischer Ideale im Geist der Moderne. Darin liegt heute viel Wehmut und ein kleines bisschen Hoffnung auf kunstsinnigere Zeiten. ||
NEW AMERICAN CHAMBER MUSIC
Schwere Reiter | Dachauer Str. 114 a
15. Feb., 8. März | 20 Uhr | Tickets: Online oder Abendkasse
Weitere Vorberichte und Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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