Thilo Mischke als »ttt«-Moderator? Unsere ARD-Korrespondentin Katja W. Zimmermann wundert sich über Personalentscheidungen.
Thilo Mischke bei »ttt«
Es gibt bekanntermaßen Stimmen, die dafür kämpfen, die ARD abzuschaffen. Sie kommen aus einer Ecke, in der ich eigentlich nicht einmal heulend zur Strafe stehen mag. Und doch kommen mir die Tränen der Wut, wenn ich höre und sehe, wie sich die ARD selbst abschafft, sich hörenden Ohres und sehenden Auges selbst jegliche Existenzberechtigung abspricht.
Die gerade noch »verhinderte« Beschäftigung eines misogynen Sexisten, der beim Privatfernsehen gut aufgehoben war, als »ttt«-Moderator ändert nichts daran: Die ARD weigert sich in ihrem kulturellen Selbsthass, ein auch nur irgendwie intelligentes Programm zu produzieren. Eines, wie es früher diesen Staat geprägt hat, das Dichter und Denker, Nobelpreisträger gar hervorgebracht hat, die ihr Geld beim Radio verdienten. Günter Grass erhielt seinen ersten Preis vom SWR. Martin Walser, Helmut Heissenbüttel und Hans Magnus Enzensberger waren dort Redakteure. Sie sind begraben wie die Idee eines Mediums als Volksaufklärer. Eingestellt wird heute, wer keine Ahnung hat und auch noch damit protzt, einen »unterkomplexen Kulturbegriff« zu haben (so wie der nicht deshalb geschasste fast-»ttt«- Moderator in seinem ersten Post). Die Auswahl des Autors von »In 80 Frauen um die Welt« als ARD-Kulturgesicht war allerdings kein Unfall, sondern ein wohlgeplanter antikultureller Anschlag der Anstaltshierarchinnen auf alles, was intelligent ist und klug formuliert wird. Wie es heißt, haben sich die Programm- und Kulturchefs der ARD gegen das Votum eines Großteils ihrer Fachredakteure in den Kulturredaktionen durchgesetzt, die durchaus wussten, welcher Windbeutel vom Privatsender da für »ttt« eingekauft wurde. Womöglich muss dieser jetzt obendrein teuer fürs Schweigen weiterbezahlt werden. Viel geeignetere Kandidaten aus angesehen Feuilletons oder mit ARD-Bildschirmerfahrung wurden einfach hingegen einfach übergangen.
Die Causa Thilo Mischke ist dabei nur ein Symptom: Inzwischen ist es einem durchschnittlich interessierten Menschen unmöglich geworden, das, was früher einmal Radio hieß und stets ein Wunder an Wissen enthielt, anzuhören. Das beginnt bei der Schlager-Algorithmen-Nichtmusik, geht weiter in den kleinen Restzonen von Kultur oder gar Literatur, wo inzwischen statt wohlgestalteter Rezensionen Gespräche gesendet werden, die voll sind mit den berüchtigten »Ich finde, dass«-Geschmacksurteilen. Selbst in der ehemals popmusikalisch würdigen Sendung »Zündfunk«, der es früher schon einmal untersagt wurde, als Internetadresse »ZuEndfunk« anzugeben, wird nur noch geplaudert und sich in Beiträgen über die Lautstärke bei Konzerten beschwert. Punk ist not only dead, it never happened.
Dafür werden wir abends jetzt endlich und einheitlich in der ARD-Nachtschiene mit gleichmacherischen »Late Nite Sounds« (nur richtig in dieser bescheuerten Schreibweise) beglückt, dem Gesamtprogramm der popmusikalischen Kulturwellen. Die ARD hat die Vielfalt abgeschafft. Gleichmacherei auch bei der Avantgarde: Die BR-»Nachtmix«-DJs sind stolz, jetzt vor Mitternacht in der ganzen Republik gesendet zu werden, vergessen dafür logischerweise jene, die in den anderen Bundesländern deshalb ihren Job verloren haben. Früher redeten Adorno und der Papst im BR-»Nachtstudio«, jetzt gibt es stattdessen einen Mode-Podcast, Samstags die Einheits-»ARD-Oper«, Montag und Mittwoch allüberall ARD-Einheits-Klassik. Ab diesem Januar bietet der SWR, der schon lange für die unbetäubt kaum hörbare »ARD-Pop-Nacht« verantwortlich ist, schon ab 20 Uhr eine gemeinsame Sendung für die Pop- und Servicewellen des Einheitssenders an. Die Musikauswahl macht der Algorithmus. Pop erbricht sich selbst.
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