An der Staatsoper startet ein neuer »Ring« mit einem umjubelten »Rheingold« und nur wenig Buh.
Rheingold
Kompliziert verspielt
»In den Trümmern der eignen Welt« wird eine der zentralen Figuren ihr Scheitern umschreiben und damit das Bühnengleichnis, erschreckend aktuell, zum Drama der Gegenwart werden lassen. Dabei hat dieser kleine sächselnde Künstler Richard Wagner diese Zeilen schon um 1851 geschrieben. Komponiert hat er sie dann erst drei, vier Jahre später, als letztes fulminantes Aufbäumen eines Tycoons, eines Oligarchen, eines vermeintlichen Weltenherrschers, theatralisch als Göttervater Wotan vor seinem Abstieg zum »Wanderer« durch eine am Ende in Flammen untergehende Welt. Wagners »Ring des Nibelungen« ist eben kein Gedöns im Germanen-Look mit teils albernem Gerede. Wagner hat stattdessen eine Sprache für ein gespenstisch zeitloses Gleichnis erfunden: den Untergang einer Welt durch Gier nach Macht, Gold, Geld.
Und nun startet mit »Rheingold« eine neue Deutung von Wagners Vierteiler an der Bayerischen Staatsoper und ihrer ganz besonderen Beziehung zu Komponist und Werk. Nicht nur hat König Ludwig II. als Mäzen 1864 den ruinierten und verzweifelten Komponisten gerettet und nach München geholt. An der Hofoper fand nach den bestaunten und bejubelten Uraufführungen von »Tristan und Isolde« und der »Meistersinger von Nürnberg« dann auch gegen Wagners Willen 1869 die Uraufführung des »Rheingold« statt. Seither betrachtet sich München neben Bayreuth als »die Wagner-Stadt« schlechthin. Der ersten Aufführung des »Ring«-Zyklus 1878 folgten in großen Abständen weitere, zuletzt 2012 dirigiert von Kent Nagano, inszeniert von Andreas Kriegenburg.
Nun also der »Ring 2024 bis 2026«. Trotz der Abstände zwischen den einzelnen Werken sieht Regisseur Tobias Kratzer das Werk als eine fortlaufende Erzählung. Im »Rheingold« werden schon viele künftige Stationen des Weltendramas vorgestellt oder angerissen. Kratzer hat sich mit seinem Team für die Thematik Religion, unsterbliche Götter und sterbliche Kreaturen entschieden. Dafür hat ihm sein vertrauter Ausstatter Rainer Sellmaier eine dunkle, fast durchweg bespielte Kirchenhalle gebaut, deren zunächst mit Plastikplanen verhüllter Hochaltar die »Baustelle Walhall« bildet. »Gott ist tot« hat der mit hässlichem T-Shirt und bunten Bermudas als Underdog gezeigte Alberich an die Wand gesprayt. Die drei Rheintöchter treten als Mischung aus Pussy Riot und Clubgirls auf. Ihr zu bewachendes Rheingold liegt wie ein Bischofsgrab im Kirchenboden. All das beobachtet ein model-schlank eleganter Loge im schwarzen Existenzialistenlook. Alberichs Nibelheim ist mit viel Gerümpel, fünf Bildschirmen für die Weltfinanzen, Schnellfeuerwaffen an der Wand und vielen Geldkoffern eine halbe Erinnerung an die Garage von Steve Jobs, aus der heraus die Weltmacht Apple erwuchs. Alberichs Verwandlung in einen Riesenwurm ist szenisch nicht eingelöst. Zunächst erschüttert dagegen seine Rückverwandlung aus der Kröte in die nackte menschliche Kreatur, nur wirkt Markus Brück mit dauernd angewinkeltem Bein vor der Scham unfrei und sein Fluch wird auch vokal nicht Angelpunkt des Abends. Den beschließen Kratzer und Sellmaier stattdessen mit einem spektakulären Bild: Im Hintergrund wird ein farbig leuchtendes Kirchenfenster mit der Weltesche Yggdrasil und den zwei Raben freigelegt, während sich die Götterfamilie im nun aufgeklappten, golden erstrahlenden Flügelaltar als Heiligenfiguren etabliert, in ihren Mittelalterkostümen des Anfangs, wie aus der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts.
All das dirigiert GMD Vladimir Jurowski schlank, in gutem Fluss mit dem Staatsorchester, in der Nibelheim-Musik noch etwas wenig, dafür am Schluss Wagner-gerecht bombastisch auftrumpfend. Vokal blieben nur kleine Wünsche offen: Sean Panikkars Loge könnte etwas giftiger, höhnischer, hinterhältiger sein; Markus Brücks Alberich finsterer, giftiger, abgründiger; Ekaterina Gubanovas Fricka entschieden herrischer. Doch ansonsten werden alle zu Recht bejubelt, von den volltönenden Riesen Matthias Klink und Matthew Rose als berechnende Priester über die befremdlich grau-alte Erda Wiebke Lehmkuhls bis hin zum stattlichen, weitgehend souveränen Wotan von Nicholas Brownlee. Deutliches Buh gibt es allerdings für das Regieteam. Tobias Kratzer sagt imAnschluss selbst, dass ihm nach den »Rheingold«-ErfahrungenZeit bleibt, »einzelne Seitenwege ein bisschen anders zu gehen«. ||
RICHARD WAGNER: RHEINGOLD
Nationaltheater | Max-Joseph-Platz 2 | 25., 27., 31. Juli 2025 | 19 Uhr | Tickets: 089 21851920
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