In »Eine Erklärung für alles« löst ein Ungarn-Anstecker am Revers eines Abiturienten einen landesweiten Skandal aus.

Eine Erklärung für alles

Flagge gezeigt

eine erklärung für alles

Ein Gefühl von Freiheit: Ábel (Gáspár Adonyi-Walsh) mit seiner Klassenkameradin Janka (Lilla Kizlinger) © Grandfilm Vajda Réka

Es ist nur ein kleines Schleifchen. Der Ungarn-Anstecker in den Nationalfarben des Landes hat aber große gesellschaftspolitische Bedeutung, wenn man ihn nicht nur am 15. März trägt, dem Jahrestag der Ungarischen Revolution von 1848. Denn er gilt als Beweis nationalistischer, rechter Gesinnung, als Erkennungszeichen eines Anhängers Viktor Orbáns und seiner Fidesz-Partei, auch wenn die in der Fußgängerzone Befragten, die ihn gerne tragen, gar nicht so radikal wirken.

Also muss sie der linke Geschichtslehrer in der mündlichen Prüfung beanstanden, wo sie der Prüfling, am Anzug übrig geblieben vom 15. März, nur versehentlich trägt. Und weil die Journalistin Erika Heynal (Rebeka Hatházi) von der Zeitung »Ungarische Tage« davon Wind bekommt und die Geschichte öffentlich macht, indem sie das Gerücht zementiert, der Schüler sei nur wegen seines Ansteckers durchgefallen, wird eine große Sache daraus. Freilich besteht Ábel auch deshalb nicht, weil er in der Prüfung kein Wort herausbringt. Dass der gut aussehende, vollbärtige Geschichtslehrer Jakab (András Rusznák) von Janka (Lilla Kizlinger) geliebt wird, in die wiederum Ábel verliebt ist, ist eine andere Geschichte.

Ein Schauspieler trägt den Film fast zur Gänze: Gáspár Adonyi-Walsh ist ein zarter, melancholischer 18-Jähriger mit einem leichten Flaum über der Oberlippe, der immer lange überlegt, bevor er zu sprechen beginnt, und selbst dem enttäuschten Vater (István Znamenák) nichts weiter entgegnen kann als seine intensive Verzweiflung, was das Lernen von Geschichte angeht. Am freiesten ist er im nächtlichen Budapest auf dem Rennrad, zusammen mit seinen Freunden ebenfalls nachts im städtischen Schwimmbad oder am See. Damit endet ein Film, der seine Erzählstränge locker miteinander verknüpft und nach Wochentagen beziehungsweise den Hauptpersonen in den einzelnen Episoden gliedert: hier der Geschichtslehrer und seine Familie, dort die junge ehrgeizige Journalistin, hier die Eltern Ábels, dort das Mädchen, in das Ábel verliebt ist, die ihrerseits aber unbedingt eine Beziehung mit dem 19 Jahre älteren Geschichtslehrer will. Die dominierende Handkamera und der Zoom zwischen den Figuren statt eines Schnitts geben dem Film große Lebendigkeit und Stringenz, die seiner Handlung und der Figurenzeichnung abgeht. Rätselhaft auch die wunderbaren mehrstimmigen Gesänge eines Mädchen- und Frauenchors, der freilich unsichtbar bleibt. ||

EINE ERKLÄRUNG FÜR ALLES
Ungarn, Slowakei 2023 | Regie: Gábor Reisz | Drehbuch: Gábor Reisz, Éva Schulze | Mit: Gáspár Adonyi-Walsh, István Znamenák, András Rusznák, Rebeka Hatházi, Eliza Sodró, u. a. | 128 Minuten | Kinostart: 19. Dezember | Website

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