Die Trompeterin Lucienne Renaudin Vary hält nichts von alten Kategorien. Das ist zeitgemäß und klingt fantastisch.
Lucienne Renaudin Vary
Überblasen
Die Klassikszene tut ja gerne so, als gebe es nur Klassik. Da ist ein Haufen junger Menschen, die tolle Instrumente studieren und spielen. Und man hat das Gefühl, sie hätten nie davon gehört, dass auch anderes als Mozart und Bach existiert. Dass es Pop gibt, dass es Jazz gibt. Dass es Punk oder Rock, Noise oder Techno gibt. Zumindest redet niemand drüber. Dabei liegt doch da das größte Potenzial für die Zukunft der Klassik oder überhaupt für die Musik. Immerhin studiert hier eine Generation, die Pop, Jazz und Klassik einfach mal als genuin gereifte und selbst historische miterlebte Musikstilrichtungen begreifen könnte, statt weiterhin die U- und E-Kategorien ihrer Eltern zu übernehmen und die klassische Musik als hochkulturelle Grüße aus der Vergangenheit zu zelebrieren.
Eine, die Musik von ihrem Instrument und nicht von einer Kategorie aus denkt, ist die 1999 geborene Trompeterin Lucienne Renaudin Vary. Die Französin studierte Jazz und Klassik gleichzeitig und sieht sich auch in ihrer jetzt ganz gut angelaufenen Karriere nicht gezwungen, sich in irgendeine Richtung zu positionieren. Ihr Debütalbum erschien 2017, heißt schlicht »The Voice of Trumpet«. Darauf spielt sie Barock- und Belcantoarien, Musicalsongs, Broadwayklassiker und Jazzstandards. Das wirkt alles sehr zugänglich. Das ist nichts Nischiges, nichts besonders Avanciertes, das damit kokettiert, gar so anders zu sein. Und trotzdem sprengt dieses Album bereits Konventionen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Lucienne Renaudin Vary hier diese Musik zusammenbringt, die Gewissheit ihres Spiels, ob strahlend stolz und schon ein bisschen gebrochen in Variationen über das Thema der »Casta Diva« oder rau verschliffen in »Summertime«, ist beeindruckend und stößt Stilpolizisten sämtlicher Provenienzen vor den Kopf. Noch konsequenter geht sie im Nachfolgealbum vor. »Mademoiselle in New York« vermischt französisches Chanson, Broadway und Bernstein mit einem Kitsch, der an »Sex and the City« erinnert.
Charmant, jung, anders ist das trotzdem. Mal abgesehen davon, dass Renaudin Vary einen Ton am Instrument hat, ganz nah an der Artikulation einer Singstimme ist, sehr greifbar, sehr fein, sehr nuanciert, klingt das auch hier beeindruckend. In München tritt sie nun mit dem Orchestre de Chambre de Paris auf. Mit Johann Nepomuk Hummels »Konzert für Trompete und Orchester E-Dur« steht da nun ein ganz klassisches Werk auf dem Programm. Doch Renaudin Vary hat, auch wenn sie Klassik spielt, einen gewissen Swing, eine Nahbarkeit im Ton, der die Formstrenge ein bisschen angreift. Ja, welch ein enormes Potenzial da doch liegt, wenn man nicht immer nur so tut, als gäbe es nur Mozart. ||
LUCIENNE RENAUDIN VARY – ORCHESTRE DE CHAMBRE DE PARIS
Prinzregententheater | Prinzregentenplatz 12 | 13. Dez. | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181 | Instagram
Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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