Am Anfang machten die Goldenen Zitronen Punk. Inzwischen haben sie vieles ausprobiert und sind als Indieveteranen auf Tournee.

Die Goldenen Zitronen

Lustvoll hysterisch

die goldenen zitronen

Schorsch Kamerun (links) und seine Zitronen © Tom Otte

Mit den Goldenen Zitronen feiert eine der prägenden deutschen Indie-­Bands ihren 40. Geburtstag. Die Jubiläumstour führt sie auch nach München. Wie sie selbst auf 40 Jahre Punk blicken, darüber spricht Sänger Schorsch Kamerun im Interview.

MF: Wie ist es, wenn man als Band plötzlich vor einer Zahl wie der 40 steht? Ist man da überrascht, erschrocken oder auch ein bisschen stolz und klopft sich auf die Schultern?
Schorsch Kamerun: Irgendwie alles auf einmal, schon auch überrascht. Aber ich glaube, das sagt so ein bisschen jeder Jubilar. Und als Nächstes sagt er dann: Es fühlt sich aber gar nicht so an, wir fühlen uns doch wie immer, richtig rüstig auch. Um das anders zu beantworten: Die Goldenen Zitronen sind da eher speziell, weil wir uns mehrfach stark verändert haben. Wir waren nie linear in unserer Biografie, haben immer nach neuem Ausdruck gesucht, das scheint unsere DNA zu sein. In den Neunzigern haben wir uns zum Beispiel mit Freejazz beschäftigt, gleichzeitig mit Techno und Hip-­Hop. Wir wollten dabei keinen »echten« Techno spielen, auch nicht »richtig« rappen. Dann haben wir nach clusterartiger elektronischer Musik gesucht, das kam über eine Krautrock­-Begeisterung, plus einer 60er-­Jahre­-Minimal-Elektronik-­und­-Neuer Klassik­-Verehrung, die wir bis heute weiterentwickeln.

Wo man das alles nachvollziehen kann, das ist auf dem Best-of-Sampler »Inventur«, der am 29. November erscheint. Wie war es, die ganzen alten Sachen anzuhören, etwa die frühen Funpunksongs? Gab es da Überraschungen, oder auch Peinliches?
Also wir haben uns schon gewundert, wie heftig manche Sachen klingen, im Sinne von kranker Produktion etc. Aber wir wollten es eben genau so jeweils. Es gibt da zum Beispiel die Platte »Punkrock«, die wir in England mit Billy Childish aufgenommen haben. Der stellte immer eine Eieruhr aufs Mischpult, und wenn es klingelte, musste der Mix an genau der Stelle stehen bleiben. Ich wundere mich auch als Sänger, was ich teilweise geliefert habe. Am Anfang mit einer völlig entfesselten Dynamik, mit unglaublicher Wut und da drin teils auch sehr unreflektiert. Aber ich würde nicht sagen, dass wir uns für irgendwas schämen. Und dann sind wir auch eine Band, die immer sehr »Contemporary« war, die versucht hat, sich an der jeweiligen Zeit zu orientieren. Dabei verkaufen wir nie zigtausende Platten. Trotzdem erleben die Goldies eine haltbare Relevanz, es gibt immer eine Aufmerksamkeit, wenn wir was rausbringen.

Entstanden ist das Ganze ja aus so einem linken Punk-Gestus heraus, das aber immer schon mit einer selbstkritischen Note. Wie ist das heute, in einer Zeit, in der es heißt, die Linken hätten sich in ihren Theorien oder ihrem Moralismus verrannt?
Also ich empfinde uns schon in einem linken Diskurs, welcher durchaus seine Probleme hat. Dabei stimmt es: Wir haben immer auch – hoffentlich selbstkritisch genug – auf die eigene Szene geschaut, die uns oft zu dogmatisch, zu selbstgewiss schien. Aber das, was wir heute noch machen, waren immer unsere Themen, also Teilhabe bei einer kritischen Unverträglichkeit, plus radikal eingeforderter Vielfalt. Weiterhin empfinden wir, dass unsere Welt mit großer Rücksichtslosigkeit und Ausgrenzung auf Kosten der »weiteren« Welt lebt, Postkolonialismus bleibt eines unserer Hauptthemen.

Bei den Zitronen waren die Grenzen immer sehr offen. Die Genres und Musiker haben gewechselt, es gab Nebenprojekte, Sie selbst haben einen Roman geschrieben und unter anderem in München Theater und Oper gemacht. Passierte das alles aus dem gleichen Geist heraus, mit den gleichen Zielen?
Ich persönlich kann gar nicht sagen, dass ich so richtig Ziele hatte und habe, fühle mich eher immer irgendwo reingeworfen. Ich bin nicht aufgewacht und habe gedacht, ich muss Musiker werden oder Künstler. Ich bin abgeholt worden, quasi von Mentorinnen: Hey, du machst doch diesen Pudelclub mit, da experimentiert ihr doch auch mit Texten und Performance, versuch doch mal was fürs Theater. Und dann wurde das Theaterstück gesehen und gefragt: Hey, so ein Umgang mit Sprache könnte auch fürs Hörspiel passen und so weiter. Alles sehr unausgebildet, aber klar hat sich das dann professionalisiert. Interessanterweise sind wir als Band immer noch extrem überaufgeregt, hysterisch. Ich würde mir fast wünschen, dass wir ein bisschen abgeklärter daherkämen. Aber das wird nix mehr, in diesem Leben. Na ja, besser is. ||

DIE GOLDENEN ZITRONEN: 40 JAHRE GOLDIES
Technikum | Werksviertel, Speicherstr. | 6. Dez. | 20 Uhr | Tickets: 089 54818181 | Website

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