Die Well Brüder haben ein neues Album, nach fast 20 Jahren CD-Pause. Und manchmal spielen sie auch noch »A scheene Leich’« mit Gerhard Polt.
Well Brüder. Bayern Unplugged
Eh klar
Es ist schwerer geworden für politisches Kabarett. Fast möchte man wehmütig werden. »Früher hat man schon Typen gehabt wie den Tandler oder Stoiber oder den Streibl. Die waren auf ihre Weise markant«, meint Michael Well als erfahrener Beobachter und Kommentator der bayerischen Lebenswelten. »Jetzt bleiben so Windeier übrig wie der Scheuer. Und die anderen kennt man ja kaum noch, die Kaniber oder die Scharf. Die habe ich erst über den Negativpreis kennengelernt, den sie vom DGB bekommen hat, weil sie die Gleichberechtigung von Frauen so schlecht vertritt. Aber sonst? Die Typen sind auswechselbar«. Wenn die Well Brüder Karl, Michael und Stofferl versöhnlicher wirken als die Biermösl Blosn, dann liegt das auch daran, dass die Gegenwart durchlässiger geworden ist. Es geht ja alles, manche Menschen im Lande genießen demokratische Sicherheit und Freiheit der Meinung als Selbstverständlichkeit, ohne daraus auf die eigene Verantwortlichkeit zu schließen. Die Einfalt der Selbstgenügsamkeit ist zwar nicht Neues, man kann ihren Leitspruch »Mia san mia« auf manchem TShirt lesen. Aber die Normalität der Dreistigkeit ist erschreckend, mit der die Idee der Ausgrenzung als vermeintliches Anrecht eingefordert wird.
»Asyl für Deppen« versucht als einer der neuen Songs auf dem Album der Well Brüder »Bayern Unplugged«, das Thema kabarettistisch einzuhegen. Es fordert dabei selbst Textdichter heraus, die bissigen Humor als Mittel der Politkritik sonst souverän einsetzen: »Das Thema AfD ist schwer zu greifen. Man kann es ironisieren. Oder man macht es frontal. Aber es ist schwer. Denn es handelt sich oft um Leute, denen es blendend geht, und die sagen: ›Ich habe mir gerade einen BMW soundso gekauft, super, meine Garage ausgebaut! Aber so kann’s nicht mehr weitergehen!‹ Dann denke ich mir: ›Was denn, du bist in einer tollen Epoche groß geworden, die hat Vorzüge, die kein anderes Land zu bieten hat!‹ Ich verstehe die Leute manchmal nicht, ich kann das nicht nachvollziehen.« Ein Rätsel. Aber nicht alles ist schwer verständlich. Manchmal springt einen die Unvernunft förmlich an.
Skitourismus zum Beispiel ist ein schönes Thema, mit Schneekanonen gegen die Erderhitzung, Skilifte gegen natürliche Landschaften und Los Wochos auf der Hüttn. Die Nachbarschaft gibt viel her, die Rücksichtslosigkeit des Menschen im Angesicht des sozialen Miteinanders. Die Zombies und Androiden der kommerziellen Volksmusik im Fernsehen brauchen Kommentare. Bauernregeln werden im Sinne des Klimawandels modifiziert und in »Aiwang« bekommt doch noch wenigstens ein Politiker den Spiegel vorgehalten. Produziert wurde das Album »Bayern Unplugged« mit immerhin 19 Stücken im privaten Rahmen, aufgenommen beim Stofferl Well daheim und veröffentlicht über das Münchner Label GLM. Auf das Cover kam ein Mops, nicht als Hommage an Loriot, sondern weil Michael Well gerne absurde Hunde fotografiert und ihm ein ähnliches Tier in Monaco zusammen mit passendem Mooshammer-Herrchen begegnete. Der Schnappschuss wurde die Vorlage, es hätte aber auch das eine oder andere Tier im Kinderwagen oder im Versace-Dress sein können. Absurditäten des Alltags, perfekt für ein CD-Cover.
Und dann ist da noch der Tod. Man trifft ihn häufig in den Liedern der Well Brüder, als Ende des Tunnels, in den der Mensch einbiegt. Da geht es um das Altersheim, dessen Vorzüge auf der Basis von Melodien der Comedian Harmonists gewürdigt werden, um das »Carpe Diem liebe Leit’« oder auch das »Sterben erster Klasse«. Ausgangspunkt dieser Lieder ist das Programm »A scheene Leich’«, das die Well Brüder 2023 zusammen mit Gerhard Polt in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt haben. Es ist eine »Erblastkomödie« mit Chor, Bühnenaufbau und Ensemble, für die nicht nur gesprochener Text, sondern auch viel Musik entstand: »Wir haben uns eigentlich die ganze Coronazeit mit dem Stück auseinandergesetzt. Es war viel Aufwand, die Kammerspiele haben ganz schön gestöhnt, aber der Regisseur Ruedi Häusermann hat das Bestmögliche daraus gemacht. Seitdem spielen wir die ›scheene Leich‹ immer wieder, wobei wir auch aufpassen, dass es für den Gerhard nicht zu viel wird.«
Denn es ist schwerer geworden für das politische Kabarett, nicht nur wegen der konturlosen Gestalten des gesellschaftlichen Diskurses. Wenn die Well Brüder heute mit Gerhard Polt oder manchmal noch zusammen mit den Toten Hosen, ihren alten Freunden aus Zeiten von Wackersdorf und zivilem Ungehorsam, auftreten, dann umweht sie die Brise der Nostalgie. Da sind Jahrzehnte ins Land gegangen, und deshalb gibt es auch das Album »Bayern Unplugged«. Wer weiß, wie oft sich die Gelegenheit noch bietet, die eigenen Lieder aufzunehmen! Diesmal hat alles gut gepasst. Aber die Well Brüder singen selbst: »Carpe diem, liebe Leit’, die letzte Mass steht schon bereit. Carpe diem, oans, zwoa, drei, und bist’ schaugst, is’ Leb’n vorbei«. ||
GERHARD POLT / WELL BRÜDER: A SCHEENE LEICH’
Münchner Kammerspiele | Maximilianstraße 26–28 | 27. Nov. (ausverkauft, evtl. Restkarten an der Abendkasse), 2. Dez. | 20 Uhr | Tickets: 089 23396600WELL
BRÜDER: BAYERN UNPLUGGED
GLM Music / Edel | CD | 71 Min. | 19,99 Euro
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