Die großartige Ausstellung des feministischen Kollektivs Pussy Riot im Haus der Kunst informiert umfassend über ihre Protest-Kunst und gibt Einblick in Putins Russland.
Pussy Riot. Velvet Terrorism
Geschichtsnotizen und Graffiti
Der Kampf gegen das System Putin findet im Untergrund statt, drängt sich von dort aber umso greller, bunter und lauter ins Bewusstsein. Im Haus der Kunst ist jetzt eine Ausstellung über die Aktivitäten des feministischen russischen Performance-Kollektivs Pussy Riot zu sehen – und zwar an einem ganz besonderen Ort, dem ehemaligen Luftschutzkeller. Um dorthin zu gelangen, müssen die Besucher*innen das Museum und die Bar durchqueren, über die Terrasse gehen zum versteckten Eingang ins Untergeschoss. »Velvet Terrorism: Pussy Riot’s Russia« steht in Glitzerbuchstaben über der Treppe in den Keller.
Aus den Katakomben dröhnt es laut heraus, als erstes sieht man das Video einer Performerin, die eine Flasche Wasser trinkt, um dann genüsslich auf ein Porträt Putins zu pinkeln. Ein erstes Ausrufezeichen in dieser an Ausrufezeichen reichen Ausstellung. Die Aktivistin Marija Aljochina hat die Geschichte des Performance-Kollektivs direkt auf die grellbunt gestrichenen Wände geschrieben; Planung, Durchführung und Konsequenzen ihrer Aktionen werden in Text, Bild und Videos dokumentiert. Um sie und ihre Kolleginnen zu schützen, hat das Museum die Ausstellung erst kurz vor der Eröffnung angekündigt. Denn: Die Bedrohung durch das System Putin ist akut.
Für ihre Aktionen, die teilweise so harmlos daherkommen wie 2020 das Hissen von Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden in Moskau – zu Wladimir Putins Geburtstag – , hat das Kollektiv extrem viel riskiert und auf sich genommen. Während Ihre ersten kleineren Konzert-Performances in bunten Strümpfen und Gesichtsmasken ohne Konsequenzen blieben, änderte sich das 2012 mit ihrem Punk-Gebet in der Moskauer ChristErlöser-Kathedrale: Nadeschda Tolokonnikowa, Marija Aljochina und Jekaterina Samuzewitsch wurden verhaftet und trotz internationaler Proteste inhaftiert. Auch die drakonischen Strafen für den teilweise kindlich lauten und bunten Protest sowie die Zustände in den russischen Gefangenenlagern werden dokumentiert. Erhobenen Hauptes lassen sich die Performerinnen festnehmen und abführen, während einen schon beim Ansehen der Ausstellung die Angst überkommt. In einem Video, das ein Verhör nach der Flitzer-Aktion beim Finale der Fußball-WM 2018 zeigt, sieht man aber die Angst im Gesicht von Veronika Nikulschina. Eine Angst, die sie freilich nicht abhält von ihrem leider nicht weniger notwendig werdenden Kampf. Eine Angst, die mit Sicherheit immer da war und mehr als berechtigt ist. (Pjotr Verzilov, der inoffizielle Sprecher der Pussy Riots, wurde im Anschluss an die Aktion mit Militärgift vergiftet, konnte aber zum Glück in der Berliner Charité gerettet werden.)
Der Gang durch die unterirdischen Gänge wird zu einer Reise in ein Land, in dem bis auf die Aktivist*innen wenig strahlt. Auch wenn man vieles natürlich weiß: Hier, in der bedrückenden Enge des Bunkers, gegen die all die Farbe wenig ausrichten kann, wird das Unterdrückungsregime Putins nochmal anders spürbar – und der Mut dieser furchtlosen Kämpfer*innen. Deren Kampf für Demokratie und Gleichberechtigung und gegen das System Putin, das sollte nicht vergessen werden, auch ein Kampf für unser Leben in Freiheit ist. Und der kann nicht laut und grell genug sein. »Ich bin eine Patriotin, und zwar eine Patriotin im richtigen Sinne. Nicht in dem Sinne, wie ihn die Propagandist*innen darstellen«, schreibt Darya Kozyreva. »Kein Übel ist ewig und jede Nacht wird eines Tages enden. Und auch diese Nacht wird enden.« Hoffen wir, dass sie Recht behält. Und dass die Mehrheit aufwacht und sich diesem Kampf für den inneren und äußeren Frieden anschließt. Wie wichtig er ist, daran besteht nach dieser aufwühlenden Ausstellung kein Zweifel. ||
VELVET TERRORISM: PUSSY RIOT’S RUSSIA
Haus der Kunst, LSK-Galerie | Prinzregentenstr. 1 | bis 2. Februar | mit Online-Zeitfenster-Tickets: tägl. (außer Di) 10–20 Uhr, Do bis 22 Uhr; letzter Freitag im Monat jew. Eintritt frei ab 16 Uhr | Kurator*innenführung: 7.11., 18.30 Uhr | Filmscreening: 2. Dez., 19 Uhr | weitere Veranstaltungen | Der Katalog wurde von Pussy Riot als Fotoarchiv selbst gestaltet und kostet 42 Euro
Weitere Besprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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