Mit »Sternstunden der Menschheit« hat Thom Luz sein bisher finsterstes Stück inszeniert.

Sternstunden der Menschheit

Wir unbelehrbaren Heutigen

sternstunden der menschheit

Das Ensemble sortiert Styropor von historischer Bedeutung | © Sandra Then

Wir befinden uns in der »geheimnisvollen Werkstatt Gottes«, und über dem Bühnenportal setzen leuchtende Lettern umständlich den Titel des Abends zusammen: »Sternstunden der Menschheit« heißt er. Ganz wie das Buch von Stefan Zweig, in dem dieser den zum Scheitern verurteilten Großtaten der Vergangenheit literarisch-essayistische Kränzchen flocht. Der Redekunst des Cicero, der »Auferstehung« von Händel und den Bemühungen des US-Präsidenten Woodrow Wilson um eine friedliche Weltordnung zum Beispiel. Resi-Hausregisseur Thom Luz hat diese Taten bereits im Juli skeptisch beäugt, als seine Inszenierung frei nach Zweig im Rahmen der Salzburger Festspiele Premiere hatte. Nun geht sie ins Repertoire des koproduzierenden Residenztheaters über. Und mit Evelyne Gugolz, Nicola Mastroberardino, Isabell Antonia Höckel, Vincent Glander, Steffen Höld und Barbara Melzl stehen auch ausnahmslos Resi-Schauspieler auf der Bühne und lauschen den dort befindlichen Gegenständen ihre Geheimnisse ab. Sie sind allesamt aus leichtem Styropor, aber von historischem Gewicht: hier eine Kanone, dort ein Pferdekopf oder ein Obelisk. Riesengroß und fleckenlos weiß!

Die Menschlein auf der Bühne beklettern sie und bauen daraus Türme, die krachend umstürzen, während sie selbst knapp unter der Verständlichkeitsschwelle vor sich hin quasseln und pfeifen. Und damit nicht genug, spielen zeitgleich vier wunderbare Musiker*innen einen lateinamerikanischen Genremix, während die Styropordinge unzusammenhängende Passagen aus Zweig-Texten von sich geben. Was das soll, darauf gibt schon der Auftakt des Abends eine unmissverständliche Antwort: »Wo ist mein Platz?«, fragen die Schauspieler*innen, die verwirrt die Zuschauerreihen entlanggehen, als hätten sie ihre Eintrittskarten verlegt. In Wahrheit aber ist das schon die zentrale Frage: Wo ist der Platz des Einzelnen in der Weltgeschichte? Wie gehen wir mit den menschlichen, künstlerischen und politischen Schwergewichten der Vergangenheit um? Eine Frage, die auch den Humanisten Zweig beschäftigte, der als Jude und Pazifist aus Salzburg nach Brasilien floh, wo er im Februar 1942 in den Freitod ging.

Hätte er Luz’ szenische Antwort darauf gesehen, hätte das seine Verzweiflung sicher nicht gemindert. Denn das große optische und akustische Durcheinander, das Luz hier absichtsvoll kreiert, bildet eine Gegenwart ab, die der Geschichte leidlich interessiert, aber zerstreut lauscht. Zu sehr sind die Heutigen mit ihrem eigenen Klein-Klein beschäftigt und obendrein äußerst lernfaul. Wenn die Vergangenheit ihnen schlechte Botschaften überbringt, hören sie lieber nicht hin. Diese Botschaften kommen teils aus den Statuen, teils werden sie von den Schauspieler*innen auf zusammengeknüllten Zetteln gefunden und verlesen. Vieles darin stammt aus Briefen und Aufzeichnungen von Zweig, die von »großen Katastrophen« künden, globalen Fremdenhass sehen und mahnen: »Wir dürfen nicht glauben, dass wir die wenigen Gerechten sind.« Und prompt wird der Überbringer der unliebsamen Nachricht in eine Kiste befördert, gegen die alle anderen lautstark treten und mit Stöcken trommeln.

Dass diese Unbelehrbaren wir alle sind, unterstreichen auch Tina Bleulers Kostüme: ein farbenfroher Querschnitt des zeitgenössischen Anything-Goes. Über ihr Outfit hinaus aber gewinnen diese Menschlein kaum Kontur, sodass sich der rund neunzigminütige Abend gewaltig zieht. Ein wenig besser wird’s gegen Ende, wenn die strahlende Isabell Antonia Höckel singt und von Zweigs späten Sehnsüchten und Schmerzen erzählt. Schon das brasilianische Portugiesisch, das sie dabei benutzt, bringt eine schöne Wärme ins optisch kalte Spiel. Und konkretes Leid ist ohnehin viel bühnentauglicher als historische Abstraktion. Den Abend rettet Höckel aber ebenso wenig wie das anschauliche Schlussbild: Bühnenarbeiter räumen die Regale leer, die zu riesigen Stockbetten für die Giganten der Weltläufte werden. Da liegen sie dann, ebenso tot wie »das ewige Traumbild einer humanisierten Welt«. ||

STERNSTUNDEN DER MENSCHHEIT
Residenztheater | 19. (Premiere), 20., 23., 30. Okt. | 19.30 Uhr (So 18.30 Uhr) | Tickets: 089 21851940

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