Ein Staubsaugerroboter tanzt, ein ganzes Theater passt in einen Helm und elektrische Tiere ziehen durch die Stadt: Beim Internationalen Figurentheaterfestival Wunder. 2024 glänzen 37 Produktionen mit einem staunenswerten inhaltlichen und ästhetischen Spektrum.

Wunder. 2024

Roboter, Zirkus, Aliens: Alles ist echt

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In »Headspace« trägt man ein Theater auf dem Kopf © Electric Circus

Seit 2020 findet das seit 1996 etablierte Internationale Figurentheaterfestival in München unter dem neuen Namen »Wunder.« statt. Und wer ins Programm der diesjährigen Ausgabe schaut, hat den Eindruck: Es wird immer größer! Von 16. bis 27. Oktober werden 37 Produktionen aus Israel, Frankreich, den Niederlanden, Tschechien, Spanien, Belgien, Dänemark, der Schweiz, Deutschland und natürlich aus München einen geballten Eindruck davon verschaffen, was in der Szene los ist. Und das ist jede Menge. Unter dem Titel »Alles Echt« versammeln sich einige Produktionen, die ihr Publikum mit Sicherheit zum Staunen bringen werden.

Nachdem das vergangene Festival den Blick in die Geschichte und die Vergangenheit richtete, steht bei Wunder. diesmal die Zukunft im Fokus, so Mascha Erbelding, die künstlerische Leiterin des Festivals: »Wir haben unser Augenmerk also auf digitale Medien und künstliche Intelligenz gerichtet, sind unterwegs aber über auffällig viele Zirkusproduktionen gestolpert und wollten das nicht ignorieren.« Und so bildet das Programm nun ein wenig unsere Realität zwischen Realem und Digitalem, Körperlichem und Virtuellem ab. Immer aber geht es um ein sinnliches und direktes Erleben, ob das Publikum nun auf Robotik trifft oder auf Zirkusartist*innen.

Erbelding hat den Eindruck gewonnen, dass der zeitgenössische Zirkus beziehungsweise das Zirkustheater gerade aufblüht. Und die Beschäftigung mit Objekten ist schließlich seit jeher fester Bestandteil der Artistik: »Wie Figurentheater-Menschen haben zum Beispiel Jongleure einen anderen und ganz eigenen Zugang zu den Dingen«, sagt Erbelding. So ist der in Berlin lebende italienische Jongleur Andrea Salustri mit »Materia« zu Gast und erweckt Styropor zum Leben, das im Anschluss übrigens von Würmern kompostiert wird, die das Material biologisch abbauen können und so neue Müllberge verhindern. Die Compagnie Modo Grosso spielt in »Alles/Nichts« mit banalen Materialien wie Strickzeug und Stein und erschafft einen Zirkus der Objekte, in dem nicht immer klar ist, wer hier wen oder was bewegt. Der Münchner Johannes Böhringer kombiniert in »Paper People Paradox« Artistik am Mast mit Papiertheater. Sowohl der Zirkus als auch das Figurentheater öffnen sich also in Richtung des jeweils anderen und begegnen sich auf spannende Art und Weise.

Wo hier alles sehr körperlich und analog vonstattengeht, widmen sich Meinhardt & Krauss in »Replik:A« einer Welt voller Avatare und robotischer Humanoiden, die zu verstörenden und zugleich faszinierenden Doppelgängern des Protagonisten werden. »Alles dreht sich da um die Fragen: Was ist menschlich? Was macht den Künstler aus? Was macht einen Menschen aus?«, so Erbelding. »Diese Produktion ist wohl das Flaggschiff in unserem Zukunftsprogramm.« Ariel Dorons »Mitzis Mensch« ist eine Koproduktion mit dem Festival, ein Gedankenexperiment um Schrödingers Katze, von der niemand weiß, ob sie in ihrer Kiste tot oder lebendig ist. Doron erforscht das Machtspiel zwischen Puppe und Spieler, zwischen Publikum und Bühne und gewissermaßen: zwischen Leben und Tod. Der israelische Künstler Ari Teperberg stellt in »Untitled Document« Überlegungen zur Beziehung zwischen Mensch und Maschine an – anhand eines leeren Dokuments, in dem sich Gedanken verdichten. »Da werden die Buchstaben zu Figuren und zum Spielmaterial und etwas völlig Digitales wird über die Interaktion zum Liveerlebnis«, erzählt Erbelding. »Nach Corona denkt man ja immer, man hat alles gesehen, was an Digitaltheater möglich ist, aber das ist dann doch wieder etwas völlig anderes.« Im Zusammentreffen von Digitalem und Körperlichen entsteht etwas Neues.

Auch inhaltlich spiegelt sich der Zukunftsaspekt wider: Mit gleich drei Shows ist die Compagnie Bakélite aus Frankreich zu Gast und feiert ein Fest für Science-Fiction-Fans. Ihre »Star Show« lädt ein zu einer Reise in den Weltraum, einem verblüffenden Objekttheater-Trip durch Zeit und Raum und (gebrauchte) Materie. »Love of Risk (L’amour du risque)« ist ein Late-Night-Ballett für Staubsaugerroboter und »Eindringlinge (Envahisseurs)« ist ein Science-FictionSpektakel über Aliens, saure Bonbons und seltsame Erinnerungen. »Das alles ist sehr komödiantisch, intelligent, witzig und trashig«, so Mascha Erbelding.

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»Love of Risk« der Cie Bakelite zeigt ein Ballett für Alltagsgegenstände © Greg Bouchet

Natürlich wird auch der öffentliche Raum wieder bespielt mit gleich drei Produktionen: Exoot aus den Niederlanden schicken in »Animaltroniek« Robotertiere vom Rindermarkt in Richtung Marienplatz. Der niederländische Electric Circus bietet Passant*innen zwei Minuten Auszeit in einem »Headspace«, einem elektronischen Puppentheater in einem riesigen Helm-Kopf zum Aufsetzen. Und die französische Compagnie L’Aurore verwandelt in »Die Bank« einfache Parkbänke in lebensverändernde Begegnungsorte und erzählt eine kleine Liebesgeschichte.

Zumindest in diesem Jahr kommt das Wunder. also noch richtig groß daher. Nachdem das Münchner Stadtmuseum als Spielort weggefallen ist, haben sich zu den bewährten Mitspielern wie der Schauburg, der evangelischen Familienbildungsstätte Elly Heuss-Knapp und dem Theater HochX viele neue Kooperationspartner wie das Einstein, die Luise oder das Pathos gefunden. Und da alle gut gepasst haben, verteilt sich das Festival nun in der Stadt und erreicht so hoffentlich auch neue Zuschauer*innen. »Wir haben dann eben für all diese Orte passende Produktionen gesucht, und so ist es immer größer geworden«, erzählt Erbelding. »Das Festival ist dieses Jahr wirklich sehr schön und groß. Das wollen wir jetzt genießen und aus dem Vollen schöpfen, bevor wir nächstes Mal wahrscheinlich ein kleineres Sparfestival machen müssen, so wie die Finanzlage gerade aussieht.«

Und auch wenn sie sich natürlich auf alles freut, gibt es doch die eine oder andere Produktion, die Mascha Erbelding unbedingt noch erwähnen möchte. Zum einen ist da »Die Melancholie des Touristen« von Oligor y Microscopia aus Spanien, Künstler, die sie schon lange schätzt und die bereits öfter beim Festival zu Gast waren. Ihre Produktion sei voll »wunderbarer kleiner Objekte«. Sie schaffen eine intime Atmosphäre, »aus der man beglückt über die Poesie des Abends rausgeht«, schwärmt sie. Auch dem Eröffnungsstück, »Step« vom israelischen Itim-Ensemble, fiebert sie entgegen. Nicht nur, weil sie hofft, dass mit der Einreise der Künstler*innen alles reibungslos funktioniert, sondern auch, weil die »den großen Blick von der Ursuppe oder der Steinzeit bis heute haben«. Ein bisschen düster sei die Adaption von Yuval Noah Hararis Bestseller »Sapiens«, dem Rückblick auf die Entwicklung des Homo sapiens, schon, aber leider passe das ja zur Weltlage. Am Abschluss des Festivals stehe dann aber noch mal ein großes Fest: »Sawdust Symphony« von Michael Zandl, David Eisele und Kolja Huneck, ein Heimwerkerzirkus mit Kleister, Sägespänen und dem Duft von Holz. Bei diesem umfassenden Programm sollte tatsächlich für alle was dabei sein. ||

WUNDER. 2024
Verschiedene Orte | 16.–27. Okt. | Programm und Tickets

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