Das Bayerische Staatsballett präsentiert unter dem Titel »Wurzeln und Blätter« »zeitgenössische Ballette«, kuratiert von Angelin Preljoca.

Wurzeln und Blätter

Technisch tadellos

blätter und wurzeln

Konstantin Ivkin und Severin Brunhuber in »Un trait d’union« von Angelin Preljocaj © S. Gherciu

Das Bayerische Staatsballett verspricht nun zum zweiten Mal »Sphären«. Bei aller Unschärfe des Begriffs weiß man im Vorhinein, bei diesem Ballettabend allenfalls dank Johann Sebastian Bachs eindringlichem Largo aus dem Klavierkonzert Nr. 5 BWV 1056, von himmlischer Musik umspült zu werden. Da es ja aber nicht primär um äolische Klänge, sondern um Tanz geht, wünschte man sich, zumindest choreografisch in unbekannte zauberische Bereiche entführt zu werden. Die »Sphären0.2« also böten die Chance für ästhetische Wagnisse, für kühne Unterfangen in kleinem feinem Rahmen. Leider blieb sie ungenutzt. Bei der Ballettpremiere im Cuvilliés-Theater zu den Opernfestspielen und zum Spielzeitende freuten sich die Zuschauer dennoch überschwänglich. Über – ja was? Einen tänzerischen Wohlfühlschauer. Kuratiert hat ihn der Choreograf Angelin Preljocaj, der das Repertoire der Kompanie bereits mit seinem aus der Zeit gefallenen Abendfüller »Le Parc« bestückt hat.

Preljocaj und Laurent Hilaire sind old buddies. Münchens Ballettchef seit 2022 ist jetzt 61, was für seinen Posten kein Alter ist. Sein Langzeitvertrag läuft bis 2031, dann ist er 68. Beim Bayerischen Staatsballett legt er unverdrossen wieder auf, was er seit 1975 als Eleve, als Tänzer, als Ballettmeister beziehungsweise Ballettchef an der Pariser Oper und zuletzt beim Stanislawski Ballett in Moskau erfahren und erfolgreich selbst erprobt hat. In München wird second hand aufgetragen, was aus Paris und Moskau noch gut erhalten ist. Das hat seine Vorteile, weil man weiß, was man kriegt – tolle Überraschungen aber blieben bisher dabei leider ausgespart. Außerdem kann es den Münchnern egal sein, was woanders war, solange es Qualität hat und auf Interesse stößt. Die Platzausnutzung der Spielzeit 2023/24 jedenfalls liegt konstant bei 98 Prozent. Und es ist doch auch schön, dass man bald endlich Stücke von Jiri Kylian wiedersehen kann, und, Bombe!, im April 2025 Pina Bauschs »Sacre« (von 1975), das sie 1997 an der Pariser Oper einstudiert hat. Und irgendwann, später, kommt vielleicht, vielleicht Bill Forsythe aus Vermont eingeflogen und beglückt München mit einem seiner Stücke – unerreicht bis heute in ihrer intellektuellen Schärfe, ihrer vorwärtstreibenden und elektrisierenden Energie.

Da kann man sich hinträumen. Jetzt gibt’s erstmal »La Bayadere«. Auch schön. Die Kompanie hat sich bei Hilaire, technisch tadellos, tänzerisch in einem sicheren Gleichmaß französelnder Finessen eingependelt. Zur nächsten Spielzeit wird es einige Wechsel in der Kompanie geben, die aber ästhetisch nicht unbedingt Gewicht haben. Ebenso ausgewogen wie die Ensembleleistung, wenngleich ohne atemberaubende Höhen und Tiefen, verläuft auch dieser Abend. Dabei ist nun das Männerduett »Untrait d’union« aus dem Jahr 1989, ausgetragen um und auf einem Trumm Lederfauteuil samt entsprechend schwerfälliger Beweglichkeit, noch das Aufregendste in seiner gewieften Doppelstrategie, wie sie den Choreografen und Tänzer Preljocaj in seinen frühen Jahren auszeichnete. Mitte bis Ende der Achtziger verschlug das einem den Atem. Da war das neu. Jetzt schaut man, sich erinnernd, gespannt zu, mit welcher Nonchalance Severin Brunhuber und Konstantin Ivkin, akrobatisch in Topform, ihre langen Körper umeinander, rauf und runter und auch das sperrige Möbel selbst wuppen.

»Un trait d’union« ist beides: ein gewagtes Lehrstück über die Überwindung der Schwerkraft und über die (seelen-)akrobatischen körperlichen Attacken, eine, in diesem Fall schwule Beziehung auszubalancieren. Das erfordert Feingefühl, vor allem aber körperliche Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer, wie sie heute, 5 Jahre später, auf den Tanzbühnen gang und gäbe sind. Ebenso wie die Selbstverständlichkeit offen gelebter gleichgeschlechtlicher Liebe mit ihren Höhen und Tiefen. Edouard Hues »Skinny Hearts« für neun Tänzerinnen und Tänzer exekutiert das digital rumpelnde und ruckende Vorwärts in verschiedenen Gruppenformationen, wie man es von Sharon Eyal und Gai Behar wesentlich dringlicher kennt. Nicht nur, dass Hue auf einer Welle reitet, die man schon größer und mitreißender erlebt hat. Man vermisst im gänzlich harmlosen Lookalike die gefährliche Attacke, die bei den gelungenen Stücken von Eyal das emotionale Grundrauschen, den wummernden Beat vorgibt. Zwischen den genannten Eckpfeilern des Dreierabends rankt noch, das sei der Vollständigkeit halber erwähnt, Émilie Lalandes gänzlich unerhebliche Blümchen-Neugarnierung von Fokines »Spectre de la rose«. Größtenteils platzieren demnach die »Sphären.02« das Ballett leider dort, wo es Ballettverächter seit je verorten – in der Belanglosigkeit. ||

WURZELN UND BLÄTTER
Nationaltheater | 21./22. Sept. | 20 Uhr | Edouard Hues »Skinny Hearts« und Angelin Preljocajs »Un trait d’union« werden wieder beim Unicredit Septemberfest im Rahmen der Produktion »Wurzeln und Blätter« gezeigt. Daneben gibt es noch drei weitere kurze Stücke | Info und Tickets

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