Eine Ausstellung von Sougwen Chung und das Symposium »Phytopoetik« in der Muffathalle proben den Spagat zwischen Natur und Technik, Wissenschaft und Kunst.
Sougwen Chung / Phytopoetik
Roboter-Kollaboratoren und kommunikative Mycelien

Ein Detail aus Sougwen Chungs Installation »GENESIS« | © Palshkov Nikita
Wenn es um Kunst mit oder mittels KI geht, denkt man nicht unbedingt sofort an die Natur. Sougwen Chung schon. Die chinesisch-kanadische Künstler*in, Wissenschaftler*in und Programmierer*in zieht ihre Inspiration aus den Gespinsten von Seidenraupen wie aus der Robotik. Das Menschengemachte ist für sie ebenso Teil der Natur, die sich beständig wandelt. Chung hat am MIT Media Lab geforscht und Vorträge beim Weltwirtschaftsforum in China wie an der Universität Oxford gehalten. Und auch zwischen die verschiedenen Künste passt bei ihr kein Blatt: Live-Malerei oder Kalligraphie, Tanz, Performance oder Konzert oder Ausstellung? Kreativität lebt von Grenzüberschreitung, von Synthesen und Synergien. Wenn Chung mit 20 Robotern malt, begreift sie diese nicht als Konkurrenten oder Werkzeuge, sondern als »non human collaborators« im kreativen Prozess. »In dieser Kollaboration erschaffen wir etwas, was keine*r von uns alleine hinbekommen hätte«, erklärt die sich als nicht-binär definierende Person, die das »Time Magazine« zu den 100 einflussreichsten Menschen im Arbeitsfeld der KI zählt, in einem der Videos, die von ihr im Netz kursieren. In einem anderen sieht man Chung behutsam Farbe auf eine am Boden liegende Leinwand tupfen. Dabei hat sie ein Stirnband umgebunden, das es in sich hat: Vedische Meditationstechniken und viel Know-how über neuronale Netze und maschinelles Lernen ist in dieses Device geflossen, das Chungs Hirnströme einem Roboterarm übermittelt, der ebenfalls einen Pinsel hält und mit Malerei auf den Daten-Input reagiert. Er ist einer von vielen D.O.U.G.s (Drawing Operations Unit Generations), die sie seit 2015 kontinuierlich weiterentwickelt, um ko-kreative Autorenschaft zu erforschen.
Sougwen Chungs »MEMORY (Drawing Operations Unit Generation 2)« ist als erstes KI-Modell Teil der ständigen Sammlung des Victoria and Albert Museum in London. Vom 30. August bis 5. September ist ihre neueste Arbeit »GENESIS« in der Muffathalle ausgestellt. Angekündigt ist »eine nahtlose, virtuelle Performance, die über die Auflösung der Grenzen von Zeichnung, Tanz und Raum spekuliert«. Was genau zu sehen sein wird, kann man sich im Vorfeld nur grob zusammenreimen: The artist won’t be present, statt dessen zeichnet ein virtueller Avatar von Sougwen Chung virtuelle Skulpturen in den Raum: In sich verschraubte, schwerelose Gebilde, quecksilbrig schillernd, vage alien-like – und mehr die sichtbare Spur einer Geste als Körper oder Bild. Was technisch dahintersteht, sind komplexe Austauschprozesse zwischen Infrarot-, Lidar- und Positionssensoren und Deep Learning Strukturen. Man sollte aber in die Installation auch eintauchen können, wenn man das nicht versteht.

Ruth Geiersberger zwischen Pflanzen | © Helge Classen
So etwas ist genau nach dem Geschmack des Muffatwerk-Impresarios Dietmar Lupfer, der gerne dort hinschaut, wo die Grenzen zwischen den Disziplinen verschwimmen und Kunst gen Science Fiction abhebt. Und grenzüberschreitend geht es auch Mitte September weiter: Mit »PhytoPoetik«, einem Symposium über die Schnittstelle zwischen Kunst und Pfanzen. Eineinhalb Tage lang widmen sich Vorträge, Gespräche und Lesungen diesem Thema aus biologischen, aktivistischen, künstlerischen und kunstwissenschaftlichen Perspektiven. Es gibt eine Performance von Judith Egger über »Das unerforschte wilde Wesen«, die Pflanzenflüsterin Ruth Geiersberger bietet einen »Stadtpflanzen«-Spaziergang und – gemeinsam mit Ardhi Engel und Geoff Goodman – eine Mischung aus Spoken Word-Performance und phytopoetischer Konzert-Verrichtung an. Es geht um die Weisheit, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit unserer meist grünen und eher stummen Mit-Geschöpfe und man lernt Begriffe wie »Phytoteratology«, »Hybristik« und »planetarische Metabolismen« kennen. Den Bogen zum Tanz schlägt unter anderem Gabriele Brandstetter, die das Symposium auch ko-kuratiert hat. Die renommierte Tanzwissenschaftlerin spricht über »Atem und Pflanzen« sowie im Anschluss an Diego Tortellis »TERRANOVA – hidden link« mit dem Choreografen über Mycelien. Tortellis Stück ist die erweiterte Fassung des 2023 uraufgeführten Duetts »TERRANOVA | body maps« und hat die fadenförmigen Geflechte zum Vorbild, mit deren Hilfe Pilze über weite Entfernungen hinweg Informationen austauschen und andere Organismen entern. Für den oberflächlichen Blick haben sie durchaus Ähnlichkeit mit dem, was Seidenraupen so zusammenspinnen. Es geht doch nichts über die Intelligenz der Natur. ||
SOUGWEN CHUNG: GENESIS
Muffathalle | Zellstr. 1 | 30. August bis 5. Sept. | Eröffnung: 30.8., 19–23 Uhr | Sa 14–23 Uhr, So 11–20 Uhr, Mo bis Do 19–23 Uhr | bei freiem Eintritt
PHYTOPOETIK
Vorträge, Gespräche, Konzertverrichtung, Tanz | Muffatwerk, Studio 1 | 13. Sept., 17–21 Uhr; 14. Sept., 11–17 und 20.15–21.30 Uhr | Eintritt frei / begrenztes Platzangebot, daher sind Platzkarten nötig | Info und Buchung
Weiteres zu Tanz und Ausstellungen in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Christoph Winkler: Tanz-Performance »Radical Minimal«
Tanzwerkstatt Europa 2022: Noch bis 11. August
Alexander Wenzlik: Der Tanzabend »Dionyzoé« im schwere reiter
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton