Schauspielstar Jessica Lange steht seit Jahrzehnten vor der Kamera. Seit über 20 Jahren ist sie auch als Fotografin tätig. Eine Auswahl ihrer Bilder ist erstmals in Deutschland zu sehen.

Jessica Lange

Persönliche Reise

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Jessica Lange bei der Vernissage von »Through her Lens« im Deutschen Theatermuseum © Filmfest München / Joel Heyd

Die analoge Leica M6 hält sie fest in der rechten Hand. Die legendäre Reportagekamera hat sie von ihrem Mann geschenkt bekommen, dem Schauspieler und Dramatiker Sam Shepard. Er brachte sie aus Deutschland mit, von den Dreharbeiten zu »Homo Faber« unter der Regie von Volker Schlöndorff. Mit ihr fotografiert die Schauspielerin seit Anfang der neunziger Jahre. Inzwischen ist es mehr als nur ein Hobby – es ist zu einer Art zweitem Beruf geworden.

Die blonde Frau und der Affe

Die 1949 geborene Jessica Lange begann ihre Karriere als Hollywood-Schauspielerin in der Hand eines Riesengorillas, in einem Remake von »King Kong« (1976). Fortan gehörte sie zu den am meisten ausgezeichneten Stars der folgenden 20 Jahre. Die beeindruckende Bilanz ihrer Karriere: zwei Oscars, fünf Golden Globes und drei Emmy Awards. Berühmte Filme von ihr sind »Hinter dem Rampenlicht – All That Jazz«, »Wenn der Postmann zweimal klingelt«, »Frances« und »Tootsie« an der Seite von Dustin Hoffmann. In der Travestiekomödie um einen Mann, der in Frauenrollen überragende Erfolge feiert, spielt Lange seine bzw. ihre beste Freundin. 1983 erhielt sie dafür ihren ersten Oscar – die Auszeichnung in der Kategorie Beste Nebendarstellerin. Später folgte noch der Hauptrollen-Oscar für »Operation Blue Sky« (1995). Da wechselte Lange schon immer wieder mal die Seiten: Die Frau vor der Kamera bewegte sich nun auch hinter der (Foto-)Kamera durch die USA.

Beim Gang durch die Ausstellung im Deutschen Theatermuseum während des Filmfests München (dort erhielt Lange einen CineMerit Award für ihr Lebenswerk) erzählt sie munter von dieser Form weiblicher Selbstermächtigung, die sich nicht nur in ihren Rollen ausdrückte, sondern nun auch ihren Blick durch den Sucher der Kamera bestimmt: »Fotografie ist ein sehr bereicherndes Gegenstück zum Schauspiel, weil sie eine so intime und selbstständige Erfahrung ist. Anders als auf einem Filmset bestimmst du als Fotograf alles selbst, kommst mit den Menschen vor der Kamera ins Gespräch – und bist dabei ganz bei dir, ganz auf dich allein gestellt, wie beim Schreiben oder Zeichnen.«

Schicksalsstraße Highway 61

Jessica Phyllis Lange wird 1949 in Cloquet, Minnesota, geboren. Einer kleinen Stadt ganz im Norden der USA, deren einzige Sehenswürdigkeit die R. W. Lindholm Service Station ist, die Tankstelle, die von dem berühmten Architekten Frank Lloyd Wright entworfen wurde. 100 Kilometer südlicher, in Minneapolis, beginnt dann der Highway 61 – 1965 von Bob Dylan in einem der zehn wichtigsten Rock-Alben der Musikgeschichte besungen (laut »Rolling Stone«). Titel: »Highway 61 Revisited«. Diese berühmte Straße, die als Roadtrip mit Sehnsuchtspotenzial bis hinunter in die Südstaaten nach New Orleans führt, hat Jessica Lange mehrfach befahren. Das erste Mal als junge Studentin in den 1960er Jahren, als sie mit ihrem Kommilitonen Francisco »Paco« Grande durchbrannte, und die beiden in einem Kleinbus, in dem sie auch schliefen, bis Mexiko reisten.

Rund 30 Jahre später wiederholte Lange diese Reise, diesmal mit der M6 im Gepäck. 2019 erschien das Fotobuch »Highway 61«, eine Fotoserie, die jetzt in einer Auswahl von Bildern in München zu sehen ist. Tankstellen, Diners und Menschen entlang der Straße; Wolkenformationen; ein Hund vor einer Bar; eine Afroamerikanerin in ihrer Küche; ein Mann, der hunderte von Puppen gesammelt hat; Kinder an einem See. Die Schwarz-Weiß-Fotos erinnern an die große Zeit der amerikanischen Street Photography, an Fotoreporter:innen wie Walker Evans, Dorothea Lange oder Robert Frank.

Jessica Lange fotografiert nicht journalistisch, sondern im Sinne der Erlebnisse einer persönlichen Reise. Sie sagt: »Diese Fotos sind eine Chronik dessen, was bleibt und was verschwunden ist. Highway 61 entspricht bei mir einer langen persönlichen Erinnerung. Die geht in meinem Leben rund 60 Jahre zurück.« Jedes Bild führt den Betrachter ein Stück weiter nach Süden.

Erkundungen New Yorks während der Coronapandemie

Damit korrespondiert auf der gegenüberliegenden Wand die Serie »Dérive«, entstanden im Winter 2020/21 in dem wegen Covid abgeriegelten New York. »Es war eine ganz andere Stadt, als ich sie kenne. Sie fühlte sich so verlassen an. Mein Sohn fragte mich, ob ich mit dem französischen Philosophen Guy Debord vertraut sei, und seiner Theorie des Dérive, einer Art des Sichtreiben-Lassens. Nein, war ich nicht. Aber dann verließ ich meine Wohnung mit der Leica in der Hand und erprobte mich darin. Bisweilen lief ich bis zu zehn Kilometer durch die leere Stadt und fotografierte die wenigen Menschen, die mir begegneten.« Obdachlose; ein Paar, das sich mittags immer auf eine bestimmte Bank setzte und sich sehr modisch anzog; einen  Musiker in einer Parkanlage. Auch diese Schwarz-Weiß-Serie schlägt einen so nostalgischen wie melancholischen Ton an, manche der Fotos könnten auch in den dreißiger Jahren entstanden sein. Zum ersten Mal sind nun Aufnahmen der großartigen Schauspielerin in Deutschland zu sehen. Bis Ende September läuft auch eine große Retrospektive in der bulgarischen Nationalgalerie in Sofia. Lange sagt: »Fotos zu machen ist das Gegenteil von Schauspielerei. Beim Fotografieren kommt es nicht auf Zusammenarbeit an, es kann sehr einsam und privat sein.« ||

»THROUGH HER LENS – PHOTOGRAPHS BY JESSICA LANGE«
Deutsches Theatermuseum München | Galeriestr. 4a (Hofgartenarkaden) | bis 8. September | täglich außer Montag, 11–17 Uhr

Weitere Ausstellungskritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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