»Walk the Line« – unter diesem Motto präsentiert die Pinakothek der Moderne sechs kleine, teils feine Sonderausstellungen.
Walk the Line
Follow the Numbering!
Wer in ein Ausstellungshaus geht, kann sich dort auch gleich wieder hinsetzen. Damit nicht gemeint sind die Bänke mit angeleintem/angekettetem Katalog der Sonderausstellung oder die seitliche Sitzecke, gerne mit Ausblick. Im Haus der Kunst zum Beispiel begrüßen viele Stühle das Publikum. »Sitzung« heißt die Installation in der großen Mittelhalle, für die der italienische Designer Mario Gamper unterschiedlich hergestellte, jeweils individuelle Möbel gefertigt hat, »um das Sitzen als skulpturales Objekt zu erforschen« – und um den Durchgangsraum in einen »Ort des Zusammenkommens« umzugestalten. Neue Formen der Beteiligung, so das aktuelle Leitwort im Museumswesen, gibt es aktuell auch in der Pinakothek der Moderne.
Zwischen Ticketschalter, Infotheke und Treppenaufgängen stehen in der Rotunde 15 Sitzmöbel zur Nutzung bereit: internationale Designentwürfe von der einfachen Bierbank (1952) bis zur »Stone Mimicry (Aspen Bench 2)« von Kerstin Brätsch, die ihr Konzept von erweiterter Malerei hier als stattlichen Betonklotz in der Form eines Totenkopfes realisiert hat, dessen Oberfläche aus buntem Glasmosaik Auge und Hand bezaubert. Das Projekt »Social Seating« der Neuen Sammlung lädt dazu ein, das Sitzen »als kollektives Erlebnis« und »als Kommunikationsform« zu erfahren. Man kann sich aber auch allein zwischen die fetten Grashalme aus Kunststoff werfen, um in »Pratone Forever Greener« (1966) der Gruppo Sturm zu versinken oder sich eine Sitzposition zusammenzuquetschen.
Und gemeinsam können sich zufällige Sitznachbarn darüber austauschen, wie es sich anfühlt, wenn man mit dem Allerwertesten auf den beweglichen Drehstäben der Bank »Roll Collection«von Verena Hennig (2015) hin und her rutscht, oder wenn sich die Sitzfläche der »SurfBench« von Kim André Lange wellenförmig bewegt. Ein Gratis-Spielplatz vom Feinsten – und das spielerischste Wohnzimmer Münchens für alle! Im Obergeschoss präsentiert die Sammlung Moderne Kunst ihre Schätze, von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart, in 35 durchnummerierten Räumen. Aber nicht mehr in einer Abfolge kunsthistorischer Stile und Entwicklungen, sondern in epochen- und medienübergreifenden Themenräumen. Mit dem Konzept »Mix & Match« will man dabei den althergebrachten westlich zentrierten Kanon aufbrechen und statt einer Gemäldesammlung unterschiedliche künstlerische Positionen und Medien (von der Skulptur bis zu Video und digitalen Werken) in Dialoge bringen. Die Themen mögen konventionell (»Self-Portrait«, »Akt«) oder kunstreflexiv (»House of Pictures«) oder unscharf formuliert sein (»Das Licht und etliches«), die Mischung macht’s!
Die stattlichen 3600 Quadratmeter Ausstellungsfläche splitten sich freilich in viele kleine Räume auf. Das ist bei den Themenaspekten kein Problem; das Museum präsentiert freilich unter dem Label »Sammlung+« immer wieder auch Sonderausstellungen, um sonst nicht dargestellte Schwerpunkte und Facetten zu fokussieren und die Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern und Stiftungen ins Licht zu rücken. Und da bleibt es leider auch kleinteilig: Bei »Walk the Line« handelt es sich um sechs verschiedene Ausstellungen in sechs Sälen, die »auf ganz unterschiedliche Art und Weise künstlerische Wege in die Abstraktion aufzeigen«, so die Erläuterung.
Man hätte etwa der Kunst der japanischen Künstlergruppe Gutai (aus der Sammlung Goetz) mehr Platz einräumen – und dafür mal auf alte Haushelden wie Hans Hartung, Ernst Wilhelm Nay und Fritz Winter verzichten können. Aber die in München gegründete Gruppe der Gegenstandslosen – »Zen 49« – kann man mit einem 75-Jahre-Jubiläum feiern und dazu Arbeiten von Nay, Winter, Willi Baumeister, Rupprecht Geiger, Brigitte Matschinsky-Denninghoff und Woty Werner versammeln. Wobei man die Skulpturen der Gruppenmitbegründerin Brigitte Meier-Denninghoff oder auch die Bildwebereien von Woty Werner gerne ausführlicher würdigen könnte. Eine der sehenswerten Foto-Präsentationen zeigt abstrahiertrhythmische Strukturen in Wellen, Watt und Dünen sowie Formen von Muscheln und Mineralien von Alfred Ehrhardt aus den 30er Jahren (aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde); die andere, betitelt »Abstrakte Horizonte«, begeistert mit den Laser-Linien von Magdalena Jetelová in Island, den unscharfen Ansichten berühmter Gebäude von Hiroshi Sugimoto und den rätselhaften Ansichten, die Geraldine Frisch in einer verlassene Fabrikanlage komponierte.
Die Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre radikalen künstlerischen Strategien der Gutai-Gruppe vertragen sich bestens mit dem Geist des Münchner Galeristen Otto van de Loo, dem eine höchst lebendige Hommage gewidmet wird, und mit »seinen« Künstlern der Gruppen Cobra und Spur. Freiheitlich, kritisch, humorvoll und spielerisch sind die versammelten Werke, am deutlichsten wird das bei Asger Jorn, der Otto van de Loo auch mit Verve 1958 porträtiert hat. Im Zentrum des Raums steht die einzigartige, 1970 gegründete Initiative »Kinderforum«, hier kann man selbst aktiv werden. Man sollte also Zeit mitbringen und in diesem Raum (21) am Treppenaufgang beginnen oder enden. »Das Krasse ist«, meinte ein Besucher zu seiner Begleitung an einem gut besuchten Sonntag im Juni, »es heißt ›Walk the Line‹, und dann gibt es null Orientierung.« Man kann freilich, wie beim Spazierengehen, einen eigenen Weg nehmen und hier oder da verweilen in den insgesamt 35 Kleinausstellungs-Räumen, oder muss der an den Durchgängen angebrachten Nummerierung (21 bis 25) folgen. ||
SAMMLUNG+ | WALK THE LINE
Raum 21 bis 25, Obergeschoss | bis 8. September
SOCIAL SEATING
Rotunde, Erdgeschoss | bis 11. Mai | Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40 | tägl. (außer Mo) 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr |
Informationen und Veranstaltungen
Weitere Ausstellungskritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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