Jochen Schölch macht aus Ulf Schmidts Dokustück »Geld oder Leben. Eine Krankenhaus-Abrechnung« eine witzige Talkshow.

Geld oder Leben. Eine Krankenhaus-Abrechnung

Marktwirtschaft oder Gemeinwohl?

geld oder leben

Das medizinische Personal rechnet in »Geld oder Leben« ab (Ensemble) | © Marie-Laure Briane

Quo vadis, Gesundheitssystem? Schon vor der Coronapandemie mit dem Solidaritätsgeklatsche für Pflegekräfte und spätestens seit Karl Lauterbachs geplanter Krankenhausreform fliegt uns das Thema um die Ohren. Aber wer kennt sich da wirklich aus? Ulf Schmidt zum Beispiel, promovierter Medienwissenschaftler, der zehn Jahre als Rettungsassistent in Frankfurt gearbeitet hat. Weil der Mann auch Intensiv-Rechercheur und Theaterautor ist, hat er »Geld oder Leben. Die Krankenhaus-Abrechnung« geschrieben, Jochen Schölch hat im Metropol die Uraufführung inszeniert.

Ein dramatisches Stück ist das nicht, sondern eine Diskussion über Pros und Kontras und Informationen zur Verwaltungs- und Rechtslage. Also eher ein dröges Bühnenthema. Aber Jochen Schölch hat schon 2013 die Uraufführungsrechte für das Finanzkrisenstück »Schuld und Schein« von Ulf Schmidt auf Ebay ersteigert und daraus eine witzig-schmissig-verständliche Revue gemacht, die bis heute im Metropol gespielt wird.

Ganz so schmissig wird es hier nicht, aber es gewinnt zunehmend an Fahrt. Pompös ertönt die Titelmelodie der »Schwarzwaldklinik«, doch der Chor von sechs Pflegekräften auf der Bühne schmettert einem deprimierend »Unser Gesundheitssystem fährt vor die Wand« entgegen. Aus dem Chor schälen sich Judith Toth als kühle Frau Pro, Vertreterin der neoliberalen Marktwirtschaft, sowie Michele Cuciuffo als Herr Kontra, leidenschaftlicher Kämpfer für bedürfnisgerechte Versorgung. Die Argumente fliegen hin und her, beide können Kronzeugen auffahren. Dafür, dass Fallpauschalen zu überflüssigen Operationen verleiten, andererseits Patienten wegen höherer Kosten unterversorgt bleiben. Dascha von Waberer berichtet als überarbeitete Chefärztin, wie schwer sich Versorgungsqualität garantieren lässt. Und der Pflegechor singt Michael Jacksons »Heal the World«.

In sechs Kapiteln widmet sich Ulf Schmidt den Problemkreisen Fallpauschale, Versorgungsqualität, Wettbewerb und Effizienz (also der Konkurrenz mit Privatkliniken), Personal und seine Kosten (ca. 60 Prozent des Krankenhausbudgets), Eigenverantwortung der Patienten – soll man jemanden, der raucht und trinkt oder adipös ist, noch versichern? Immer geht es ums Geld, gerade im Hier und Heute: Was ist die Alternative? Ein marktwirtschaftliches oder ein gemeinwohlschaftliches System? Jeder verkörpert in dieser Talkshow Positionen als falsch behandelter Patient oder schmieriger Versicherungsvertreter (Patrick Nellessen). Hubert Schedlbauer profiliert sich als geschwätziger Moderator, Luca Skupin liefert als Joker verbal die Informationen, die sonst eingespielt werden. Bald verselbstständigt sich sein Roboterton, sein Datenfluss ist nicht mehr zu stoppen, die Bühnenleute suchen vergeblich den Knopf zum Abstellen, der sich überraschend findet. Man erfährt in 80 Minuten vieles gut und verständlich aufbereitet, oft witzig formuliert (über die Häufigkeit von Herz-OPs »in München, wo es mehr Kardiologen gibt als Menschen mit Herz«). Für Finanzierungslösungen könnte man sich ja am Nachbarn Schweiz orientieren. ||

GELD ODER LEBEN. DIE KRANKENHAUSABRECHNUNG
Metropoltheater | Floriansmühlstr. 5 | 4., 6., 8.–11. August | 19.30 Uhr | Tickets: 089 32195533

Weitere Theaterkritiken finden Sie ab morgen in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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