Thomas Arslans »Verbrannte Erde« ist ein beeindruckend nihilistischer Gangsterfilm aus Deutschland.
Verbrannte Erde
Überwältigende Sprachlosigkeit
Zur Einordnung von »Verbrannte Erde«, dem neuen Film von Thomas Arslan, lohnt ein Blick zurück. Denn vor vierzehn Jahren gelang Arslan das Undenkbare: eine Fusion von Film noir und der Berliner Schule. Der deutsch-türkische Regisseur, Jahrgang 1962, hatte die Berliner Schule Anfang der Neunziger entscheidend mitgeprägt, jene Strömung des deutschen Kinos, die Geschichten problematischer Milieus abseits des Mainstreams erzählte. Und 2010 übertraf Arslan sich selbst. Mit »Im Schatten« glückte ihm eine Hommage an die deutsche Hauptstadt und eine Verbeugung vor den Klassikern des Gangsterkrimis. Mišel Matičević glänzte in der Hauptrolle des Trojan nicht als überzeichneter Held, sondern als wortkarger Krimineller, ein vom Leben gebrochener Mann. »Im Schatten« funktionierte sowohl als Thriller wie als Arthousefilm.
Jetzt folgt mit »Verbrannte Erde« die Fortsetzung, der zweite Teil einer geplanten »Trojan-Trilogie«. Und Arslan findet leicht wieder hinein in diese düstere Welt der Vergeblichkeit, die den bahnbrechenden Vorgänger auszeichnete. Eine Welt, so schroff wie ein Berliner Winter. Diese Schroffheit spürt auch Trojan zu Beginn des Films, als er in die Hauptstadt zurückkehrt. An den Ort, von dem er einst floh. Er ist abgebrannt, braucht dringend Geld, einen großen Auftrag. Denn es ist schwierig geworden, geklaute Ware zu verkaufen, der Schwarzmarkt ist zerschlagen. Also kontaktiert er alte Bekanntschaften, etwa den ehemaligen Drogendealer Can (Tamer Yiğit). Er vermittelt Trojan an die Vermögensberaterin Rebecca (Marie-Lou Sellem), die ein Team für einen Kunstraub zusammenstellt. Die Beute: Caspar David Friedrichs »Frau vor der untergehenden Sonne«.
Der Coup gelingt zwar, aber der Erfolg ist ein trügerischer. Denn schnell wird klar, dass der Auftraggeber nie vorhatte, das Diebesgut zu bezahlen. Stattdessen schickt er seinen unbarmherzigen Mittelsmann Victor vor (beeindruckend beängstigend: Alexander Fehling), der die Räuber um jeden Preis berauben soll. Er heftet sich also an die Fersen der Diebesbande, operiert aus dem Verborgenen. Ein Spürhund, der aus dem Schatten kommt. Zuerst beschattet er Trojan nach einer geplatzten Übergabe, anschließend bedroht er Rebecca. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: Schaffen es Trojan und sein Team, ihre Beute anderweitig zu verkaufen? Oder gelingt es Victor, das Gemälde vorher in seinen Besitz zu bringen?
Es ist ein schnörkelloser Plot, den Arslan in »Verbrannte Erde« erzählt. Ein Destillat des absoluten Minimums. Den Regisseur kümmern keine erzählerischen Konventionen, die Atmosphäre ist ihm wichtiger. In langen Einstellungen zeigt er die trostlosesten Berliner Hinterhöfe und Parkplätze, die Handlung rückt dabei in den Hintergrund. Es sind Kulissen der Einsamkeit, durch die sich die Charaktere bewegen, als seien sie selbst nur Oberfläche. Tiefe gönnt Arslan ihnen nicht, stattdessen stellt er sie maximal unverbindlich dar. Im Film werden sie dann buchstäblich zu Schattenrissen, wenn Arslan die Schauspieler im Gegenlicht inszeniert. Trojan wird erneut von Mišel Matičević verkörpert, der dem Gangster eine grimmige Verzweiflung verleiht. Mehr noch als im Vorgänger Film scheint er gefangen in seinem repetitiven Alltag aus wechselnden Hotels, unpersönlichen Geschäftskontakten und einer ständig dräuenden Lebensgefahr. Für Lebensfreude bleibt da kein Platz. Einmal, da bekommt Trojan von seiner Kollegin Diana (Marie Leuenberger) Unterschlupf angeboten. Aber er lehnt ab, zu riskant. Keine persönlichen Bindungen in der Welt der Schattenrisse. Lieber bleibt Trojan bei sich, wird ein Perfektionist des Wesentlichen. Seine Bewegungen sind kontrolliert, berechnend gar. Er sitzt in Cafés, in Autos, hüllt sich in Schweigen. Die nachdenklichen Blicke enden im Nirgendwo.
Überhaupt ist »Verbrannte Erde« ein Film der Blicke. Die Dialoge sind aufs Nötigste reduziert. In gepressten Stimmen reden die Menschen miteinander, Persiflagen von Konversation. Den Höhepunkt seines Nihilismus erreicht Thomas Arslan nach einer guten Stunde Laufzeit, als Trojan zum Handy greift und Victor anruft. Ein vielleicht letzter Versuch, die Fronten zu klären. Es bleibt bei dem Versuch: Victor hebt ab, die Männer bleiben stumm. Ein Gespräch ohne Austausch, Kino der Wortlosigkeit. Das Schweigen bricht alle Dämme, denn danach legt »Verbrannte Erde« plötzlich an Tempo zu, eine Verfolgungsjagd durchs nächtliche Berlin beginnt. Als sich Trojan und Victor schließlich gegenüberstehen, ist es ein Finale in der Dunkelheit, ein Zweikampf zwischen Lagerhallen und Bahngleisen. Die erleuchteten Scheiben der East Side Mall strahlen durch den nächtlichen Nebel, makaber und unbarmherzig hell.
Es endet so, wie es begann, in Resignation. Ein Fortgang ohne Entwicklung, eine Geschichte ohne Konsequenzen. Thomas Arslan verweigert sich in seiner niederschmetternden Erzählung einem erlösenden Abschluss. »Verbrannte Erde« ist ein beeindruckender Film, der einen in seiner Härte so zurücklässt wie Trojan in der stärksten Szene des Films: wortlos. ||
VERBRANNTE ERDE
Deutschland 2024 | Buch und Regie: Thomas Arslan | Mit: Mišel Matičević, Marie Leuenberger, Alexander Fehling, Tim Seyfi | 101 Minuten | Kinostart: 18. Juli | Website
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