Das Tollwood Sommerfestival bringt tolle Stimmen in die Stadt. Und viel neues schönes Ambiente mit reichlich Musik.
Tollwood 2024
Leit hoit’s z’amm
Das Klima ist rau geworden. So hat vor Kurzem bei der Eröffnung des »Stadions der Träume« in München die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth die Lage diagnostiziert. Gemeint hatte sie damit etwa, dass Hass und Hetze den politischen Austausch von Meinungen ersetzt hätten. Was zeigt: Es gibt neben dem meteorologischen auch noch einen anderen Klimawandel. Einen, der von verschiedenen Krisen, Kriegen, Ressentiments, Resignation, Egoismus und Extremismus angefeuert wird. Und man fragt sich, wie in dieser zunehmend zersplitterten, zerstrittenen Gesellschaft die Menschen wieder zueinander finden sollen.
Vielleicht mit Singen. Zumindest auf dem kommenden Tollwood Sommerfestival, das am 21. Juni im Olympiapark seine Pforten öffnet, wird genau das versucht. An den ersten beiden Tagen sollen die Besucher jeweils um 22 Uhr für ein paar Minuten innehalten und gemeinsam »Give Peace a Chance« und »Let the Sunshine in« singen. Dazu malen Drohnen leuchtende Symbole ans Firmament, während Jens Junker vom Münchner Go Sing Choir die Sänger und Sängerinnen dirigiert. »Ein Festival singt!«, so heißt entsprechend die Devise. Was schön klingt, aber ein bisschen fragt sich doch der Skeptiker in einem, was das bringen soll. Vor allem, wenn man weiß, wie oft schon »Give Peace a Chance« gesungen wurde, auf wie vielen Veranstaltungen und Demos. Und die Kriege? Gibt es immer noch. Was allen Teilnehmenden dafür versprochen wird, das ist »ein
Gänsehautmoment«. Auch wenn es die Kriege nicht beendet, stärkt es ja vielleicht doch das Wir-Gefühl.
Damit wären wir auch beim Motto des diesjährigen Sommerfestivals, das sich bewusst mehrdeutig »Zusammen:Halt!« nennt. Einmal um die leider etwas vergessenen Gemeinsamkeiten zu beschwören. Und dann noch, damit man gemeinsam »Halt!« gegenüber Hass und Hetze sagt. Oder wie es Hans-Jürgen Buchner von Haindling bereits vor 30 Jahren gesungen hat: »Leit hoit’s z’samm, sonst dauert’s nimma recht lang. Auf oamoi duad’s an g’scheitn Scheberer. Und dann kracht ois z’samm«. Seit 1982 gibt es die großartige, bayerische Neue-Volksmusik-Truppe. Und in diesem Jahr, leider, leider, soll nun Schluss mit Tourneen und der Auftritt am 17. Juli einer der letzten von Haindling sein. Dabei braucht es einen politisch engagierten Liedermacher wie Hans-Jürgen Buchner heute mehr denn je.
Wobei das nicht heißt, dass der Sänger und Multiinstrumentalist komplett aus der Öffentlichkeit verschwindet. Aber mit fast 80, wie es Buchner im Dezember wird, darf man schon mal kürzertreten. Immerhin auch schon 71 ist der US-amerikanische Musiker und Produzent Nile Rodgers. Und wenn wir schon den ersten »Gänsehautmoment« und mit Haindling einen der musikalischen Höhepunkte hatten, darf das Konzert von Nile Rodgers & Chic am 5. Juli keineswegs fehlen. Als Musiker hat Rogers mit Chic Funk- und Discohits wie »Le Freak« und »I Want Your Love« gelandet. Und als Produzent hat er unzähligen anderen wie David Bowie, Diana Ross, Debbie Harry oder Duran Duran große Hits beschert. Der Afroamerikaner glaubt auch im Jahr 2024 noch immer an die Kraft der Musik, die Menschen zu vereinen, wie er in einem Interview der »Süddeutschen Zeitung« erzählte. »Wenn ich ›We Are Family‹ spiele«, meinte er dort, »fallen sich immer noch alle in die Arme.«
Restkarten gab es zuletzt noch für Nile Rogers & Chic, in deren Vorprogramm mit Kool & the Gang eine weitere Funk- und DiscoLegende antritt. »Let The Music Take Your Mind« hieß 1969 einer ihrer ersten Hits. Und das ist heute vielleicht auch nicht die schlechteste Botschaft. Die Konzerte von Dieter Thomas Kuhn, Sarah Connor, Nina Chuba, Beth Hart & Andreas Kümmert, Clueso, Greta van Fleet, Deine Freunde, Schmidbauer & Kälberer, ZZ Top und Finch sind schon länger ausverkauft. Das zeigt, dass der Glaube an die vereinende Kraft der Musik vielleicht tatsächlich noch vorhanden ist. Jedenfalls gehen die Tickets zügig weg, Restkarten gibt es neben Nile Rodgers noch für Bilderbuch (21.6.), Alphaville – Symphonic (23.6.), Toto (24.6.), Dicht & Ergreifend (28.6.), Take That (2.7.), Jan Delay & Disko No. 1 (4.7.), Montez (10.7.) und Jeremias (15.7.). Bei Status Quo & Canned Heat (8.7.) und beim Rapper Kaffkiez (13.7.) könnte man ebenfalls noch Glück haben. Ein paar der alten Recken waren über die Jahre schon bei Tollwood. Take That haben ihre Fans dort noch nicht zum Kreischen gebracht. Ein bisschen was ist in jedem Jahr doch auch anders, es geht ja um die Balance von Festivalgefühl und Neugier. Im erstmals von Niko Strnad und Klaus Dalheimer bewirteten Andechser Zelt gibt es natürlich auch wieder Musik, kostenfrei und mit vielen lokalen Acts. Und dann ist da noch Maurice Ravels »Bolero«. Der wird insgesamt acht Mal auf dem Gelände eingespielt, in einer dafür »zugeschnittenen Version«, und soll mit seiner Magie, andere sagen Erotik, ebenfalls helfen, den Zusammenhalt zu stärken. Und wenn das nicht hilft: Tollwood feiert in diesem Jahr auch die »Bierkultur«, mit 16 verschiedenen Biersorten. ||
TOLLWOOD SOMMERFESTIVAL
Olympiapark Süd | Spiridon-Louis-Ring | 21. Juni bis 21. Juli | verschiedene Zeiten | Tickets: 089 3838500 | Website
Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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