Verschiedene Graphic Novels zeichnen 100 Jahre nach dessen Tod das Leben von Franz Kafka nach.
Franz Kafka in Graphic Novels
»Bevor er zum Adjektiv wurde«
»War er eine Frohnatur?«, fragte der Journalist Georg Stadtler im Jahr 1968 Max Brod, den Verwalter des Nachlasses von Franz Kafka. Es ist eine unerwartete Frage; man könnte sich kaum vorstellen, dass die Antwort »Ja« lauten würde. Die Antwort Brods aber ist differenziert: »Das ist zu viel gesagt! Er war nicht so depressiv, wie er heute gesehen wird, aber FROHNATUR kann man ihn nicht nennen.« – Vor 100 Jahren, am 3. Juni 1924, starb Franz Kafka. Anlässlich dieses Jubiläums machen sich derzeit wieder sehr viele Menschen sehr viele Gedanken über diesen schwer zu greifenden Schriftsteller. Auch eine ganze Reihe Comic-Künstler haben ihm gezeichnete Biografien gewidmet.
Das anfangs erwähnte Interview zitiert Nicolas Mahler am Ende seines Büchleins »Komplett Kafka«. Mahler zeichnet das Leben, Lieben und Leiden Kafkas pointiert nach, mit Originalzitaten, minimalistischen Zeichnungen und ebensolchem Humor. Neben den Schriften, Briefen und Tagebüchern von Kafka zitiert er Rezensionen und auch einen Leserbrief zu Kafkas »Verwandlung«. »Sie haben mich unglücklich gemacht«, schreibt da Dr. Siegfried Wolff. »Ich habe Ihre Verwandlung gekauft und meiner Kusine geschenkt. Die weiß sich die Geschichte aber nicht zu erklären.« Ebenso ging es wohl der Tante und der anderen Kusine des Herrn – und diesem selbst, der sich daher an den Autor wendet: »Ich habe Monate hindurch im Schützengraben mich mit dem Russen herumgehauen und nicht mit der Wimper gezuckt. Wenn aber mein Renommee bei meinen Kusinen zum Teufel ginge, das ertrüge ich nicht.« Er will: eine Erklärung. Er reiht sich mit dieser Sehnsucht ein in die Reihen von Kafka-Forscher*innen und -Leser*innen, die mit gehöriger Faszination ratlos vor diesen Erzählungen stehen wie dessen Figuren vor dem Schloss oder dem Gesetz.
Mahler spürt dem Leben dieses Kafka nach, in all seinen Widersprüchen zwischen Turnübungen – »täglich 10 Minuten nackt bei offenem Fenster« – und dem Nachdenken »über Aus-dem-Fenster-Springen« auf dem Kanapee. Zu dem bekannten Kafka-Bild gesellen sich unbekanntere Aspekte, auch der Witz Kafkas: Vor der ersten Veröffentlichung von Erzählungen bat er den Verleger wegen der »unwahrscheinlich kleinen Auswahl« (nur das allerwenigste hielt er für druckreif ) »um die größte Schrift, die innerhalb jener Absichten möglich ist, die Sie mit dem Buch haben«. Das Ergebnis ähnelte wohl Votivtafeln mit Riesenlettern.
Komplett anders gehen Thomas Dahms und Alexander Pavlenko den Casus Kafka an. Ihr großformatiges und üppig illustriertes Buch »Verwandelt. Franz Kafka – Leben Lieben Literatur« ist eine atmosphärisch gezeichnete Biografie mit ausführlichen Ausflügen in Kafkas Werke. »Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns«, zitieren sie Kafkas Anspruch an die Literatur. Detailliert schildern die beiden das Leben Kafkas, seine unauflösbare Bindung zu seinen Eltern, die Probleme mit dem dominanten Vater, das Doppelleben zwischen bürgerlichem Leben und Beruf auf der einen, dem Schreiben auf der anderen Seite. Wie er sich aus der Asbestfabrik, in die er beruflich gedrängt wurde, immer wieder zurückzog in die Einsamkeit des Schreibens: »Das Alleinsein hat eine Kraft über mich, die nie versagt.«
Wie Mahler zeichnen sie seine Zerrissenheit auch in Liebesdingen, sein beinahe komisches Hadern mit Nähe und Verantwortung; seinen Selbsthass; die Angst vor der Einsamkeit und zugleich die davor, nicht mehr allein zu sein. »Wer kann den Ansturm meines Lebens, die Anforderungen meiner eigenen Person, den Angriff der Zeit und des Alters, den Andrang der Schreiblust, die Schlaflosigkeit, die Nähe des Irreseins mit mir ertragen?«
Am unscheinbarsten kommt das kleine Taschenbüchlein »Kafka« von David Zane Mairowitz und Robert Crumb daher, das allerdings ein sehr differenziertes Bild zeichnet und in der Analyse seiner Widersprüche vielleicht am tiefsten taucht. Immer wieder messen die beiden den Autor an dem aus seinem Namen und Schaffen hervorgegangenen und überstrapazierten Wort »kafkaesk«, nehmen auch sein Hadern mit dem Judentum und die Rezeption seines Werks mit hinein. »Bevor er zum Adjektiv wurde, war Franz Kafka ein Jude aus Prag, der in der Tradition von Geschichtenerzählern und Fantasten heranwuchs und das Schicksal von Ghettobewohnern und ewigen Flüchtlingen teilte«, heißt es zu Beginn.
Gerade wenn man diese Bücher parallel liest, ist es schön, wie sich durch die Auswahl der Zitate ein Panorama auffächert,in dem dieses Leben und Schreiben in neuem Licht erscheinen. Die Verschiedenheit dieser Bücher zeigt: Jedes ist Fiktion, Deutung und Annäherung, keines erhebt Anspruch auf Vollständigkeit. »Ich glaube nicht, dass es von Vorteil ist, Kafka nicht gekannt zu haben«, zitiert Mahler am Ende noch einmal Max Brod. An dem Nichtgekannthaben ist leider nicht mehr zu rütteln. Aber zumindest kommt man diesem merkwürdigen K. mit diesen drei Büchern, die sich in ihrer Verschiedenheit trefflich ergänzen, ein wenig näher. ||
NICOLAS MAHLER: KOMPLETT KAFKA
Suhrkamp Verlag, 2023, 127 Seiten, 18 Euro
THOMAS DAHMS/ALEXANDER PAVLENKO: VERWANDELT. FRANZ KAFKA – LEBEN LIEBEN LITERATUR
Knesebeck, 2024, 128 Seiten, 24 Euro
DAVID ZANE MAIROWITZ/ROBERT CRUMB: KAFKA
Reprodukt, 2024, 176 Seiten, 9,90 Euro
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