Die Ingeborg-Bachmann-Ausstellung »Ich bin es nicht. Ich bin’s« im Literaturhaus München zeigt Seiten einer Schriftstellerin, bei der es immer noch Neues zu entdecken gibt.

Ingeborg Bachmann. Ich bin es nicht. Ich bin’s

Ikone im Porträt

ingeborg bachmann

Ingeborg Bachmann in New York 1955 | © Familienarchiv Bachmann

»Der Kaffee ist schlecht in München, der Herbst ausnahmsweise ganz schön, aber für verwöhnte römische Augen ist er auch kein Trost.« Das schreibt Ingeborg Bachmann während ihres knapp einjährigen München-Aufenthalts 1957/1958 an ihren Kollegen Hermann Kesten in dessen Wahlheimat, ihrem Sehnsuchtsort Rom. Der Brief befindet sich in Kestens Nachlass in der Monacensia. Zurzeit ist er im Literaturhaus München zu sehen – als eines weniger erlesener Exponate, die die aus dem Literaturmuseum Wien stammende Ausstellung ergänzen. Neu hinzugekommen ist auch eine Antwort der Autorin an den Lektor des Otto-Müller-Verlags. Dass er ihre Gedichte abgelehnt habe, nehme sie ihm nicht übel, schreibt die 27-Jährige Anfang 1953. Diese Art von Empfindlichkeit sei ihr fremd, »und eine Erwiderung ändert ja schliesslich weder an den Gedichten noch an Ihrer Meinung etwas«. Es sei anzunehmen, dass Hansjörg Graf seine Absage später bereute, sagt Tanja Graf süffisant. Die Namensverwandtschaft zwischen Lektor und Literaturhausleiterin ist kein Zufall: Es handelt sich um ihren Vater. Kein Zufall ist auch, dass das Literaturhaus mit Ingeborg Bachmann binnen Kurzem die dritte schreibende Frau in einer Einzelausstellung würdigt – nach Hannah Arendt 2021/2022 und Simone de Beauvoir 2022/2023. Bevor Graf die Leitung Mitte 2016 übernahm, war der Schwerpunkt im Haus doch etwas anders gelagert.

»Alle drei Schriftstellerinnen werden bis heute breit rezipiert«, sagt Graf. »Sie und ihre Themen haben eine ungemindert große Wirkung und Aktualität.« Man habe sich daher bei Bachmann nicht zwingend an einem Jubiläum orientiert (50. Todestag 2023, 100. Geburtstag 2027), sondern die in Wien als »Hommage« betitelte und konzipierte Ausstellung angepasst – räumlich und inhaltlich. So kondensierte die Münchner Kuratorin Anna Seethaler mit der Wiener Co-Kuratorin Kerstin Putz die ursprünglich zehn Themen- auf fünf Lebensstationen. Die teils erstmals öffentlich gezeigten Fotos, Briefe, Manuskripte und Dokumente aus dem opulenten Nachlass werden – statt in hohen, dunklen Regalen wie in Wien – in Vitrinen präsentiert. Diese wiederum gruppieren sich im lichtdurchfluteten, farbig oszillierenden Raum – eine Reminiszenz an Bachmanns geliebtes Italien – um das Lebens- und Denkzentrum der Dichterin: ein Tisch mit ihrer Originalschreibmaschine. Rechts und links davon animieren weitere Schreibmaschinen das Publikum, sich im Sinne der Partizipation selbst schreibend auszuprobieren. Ob die großzügig verteilten Plakate mit prägnanten Bachmann-Zitaten inspirierend oder eher blockierend wirken, wird sich zeigen.

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Brief von Ingeborg Bachmann an Hansjörg Graf, Lektor beim Otto-Müller-Verlag in Salzburg, Januar 1953 © Catherina Hess

Noch prominenter sind die vielen gerahmten, facettenreichen Gesichter der Bachmann. Zusammen mit dem Münchner Ausstellungstitel »Ich bin es nicht. Ich bin’s« spiegeln sie das zentrale Thema der Ausstellung: Es geht ums Spiel mit der Wirkung nach außen; der sehr zeitgemäßen Frage, wie Bachmann sich bewusst als Frau und Intellektuelle inszenierte und wahrgenommen werden wollte. Das trug zu ihrem Ruhm bei: Im August 1954 widmete ihr »Der Spiegel« die Titelgeschichte, damals eine Sensation. Zugleich brachte es ihr Neid und Missgunst ein, betont die österreichische Autorin Sabine Gruber im Begleitbuch zur Ausstellung. Speziell vonseiten verheirateter Frauen, da sie, frei und unabhängig lebend, von Männern umschwärmt wurde. Wenngleich die Dichterin diese Aufmerksamkeit genoss und zeitlebens vielfältige Verbindungen zu mehreren Kollegen pflegte, wusste sie auch die Freundinnenschaft zu schätzen: Zu ihrem literarischen Netzwerk zählten Marie Luise Kaschnitz, Ilse Aichinger, Nelly Sachs – und Hannah Arendt. »Ich habe nie daran gezweifelt, dass es jemand geben müsse, der ist, wie Sie sind«, schreibt sie an die große Denkerin 1962, »aber nun gibt es Sie wirklich, und meine ausserordentliche Freude darüber wird immer anhalten.«

Film- und Tondokumente sowie ausgewählte Kleidungsstücke erweitern das Bild einer großen Dichterin, die nie ganz zu (er-)fassen sein wird. Und eine Hommage an einen Gedenktag gibt es auch: An ihrem 98. Geburtstag am 25. Juni wird Ingeborg Bachmann im Begleitprogramm zur Ausstellung mit ihrer Lyrik gefeiert. ||

AUSSTELLUNG INGEBORG BACHMANN »ICH BIN ES NICHT. ICH BIN’S.«
Literaturhaus München | bis 3. November | Mo bis So 11–18, Do 11–20 Uhr
BEGLEITPROGRAMM »DAS ERSTGEBORENE LAND« – DIE DICHTERIN INGEBORG BACHMANN
Literaturhaus München | Führungen und Termine bis Oktober
MICHAEL HANSEL UND KERSTIN PUTZ (HG): INGEBORG BACHMANN. EINE HOMMAGE
Begleitbuch zur Ausstellung | Paul Zsolnay, 2022
304 Seiten | 27 Euro

 


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