Im Volkstheater macht Sapir Heller Dürrenmatts Groteske »Der Besuch der alten Dame« zum »Auftritt der Enkelin«.

Der Besuch der alten Dame

Schuldig durch Schweigen

der besuch der alten dame

Nina Steils als nicht ganz so alte Dame | © Gabriela Neeb

Güllen wartet. Auf die Ankunft der Sängerin Claire Zachanassian, die hier ein Konzert geben soll. Sie ist die Enkelin der gleichnamigen alten Dame, die aus Güllen stammte und später Milliardärin wurde. Von der Erbin erhofft sich der verarmte Ort, in dem kein Zug mehr hält, eine kräftige Geldspritze. Die Honoratioren reihen sich auf: Der Kaufmann Alfred Ill (Jonathan Müller), dessen Großvater der Geliebte der jungen Claire war. Der Bürgermeister (Lukas Darnstädt), der im rosa Anzug mit Golfschläger posiert wie Freddy Mercury. Der verklemmt-verknotete Pfarrer (Lorenz Hochhuth) in Zartlila, der bebrillte, agile Lehrer (Julian Gutmann liefert Slapsticks), die Ärztin (Henriette Nagel) im Tennisdress, der schlagkräftige Polizist (Alexandros Koutsoulis). Plötzlich schlendert sie herein: Nina Steils lässig in Rot. Ihr Begleitmusiker Boby (Fiete Wachholtz) trägt sein Instrumentarium in einem Sarg mit sich. Verwundert erduldet Claire das Begrüßungsständchen, wird umtanzt und umschmeichelt mit verlogenen Erinnerungen an ihre ach so hochgeschätzte liebe Oma.

Die israelische Regisseurin Sapir Heller hat mit ihrer vierten Inszenierung für das Volkstheater Friedrich Dürrenmatts tragische Komödie »Der Besuch der alten Dame«, uraufgeführt 1956, auf die Enkel übertragen. Ihr geht es um die Weitergabe von Traumata der Opfer/Täter-Generation an die Nachkommen, um das Schweigen und Verdrängen. So mischt hier die Enkelin das falsche Spiel der Güllener auf. Sie kennt die Geschichte ihrer Großmutter nur bruchstückhaft, aber warum diese 17-jährig hochschwanger mit Schimpf und Schande aus Güllen verjagt wurde, erfährt sie vom alten Richter (Hans Dieter Trayer). Er hält sich als Einziger nicht an die Regel »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«, erzählt die Wahrheit und bekennt sich schuldig, aufgrund von Verleumdung und Meineiden ein Fehlurteil gefällt zu haben. Claire will Gerechtigkeit und verspricht eine Milliarde für den Tod von Alfred Ills Enkel. Obwohl sie mit ihm intensiv die Liebesszenen der Großeltern nacherlebt. Da funktioniert die Übertragung dramaturgisch nicht, die Generationen scheinen zu verschmelzen. Was Steils und Müller allerdings großartig spielen.

Das Wäldchen von damals ist nur noch ein kahles Baumgerippe (Bühne und Kostüme: Anna van Leen), über weißer Öde leuchtet »Home, sweet Home«. Als die Bühne hochfährt, enthüllt sie statt Baumwurzeln einen riesigen Tierschädel mit rotglühenden Augenlöchern. Im Dunkel der Unterführung erfährt Alfred die Angst, die ihn ab jetzt verfolgt. »Ich habe doch nichts getan«, wiederholt er verzweifelt, aber der kollektiven Schuld entkommt er nicht. Im Ort macht sich die Aussicht auf Wohlstand breit, alle kaufen auf Pump und tragen neue gelbe Stiefel. Die moralische Korruption erfasst auch den Lehrer, der sich lange dagegen wehrt. Heller inszeniert grell und grotesk, die Figuren außer Alfred und Claire sind karikaturistisch überzeichnet. Die mörderische Bedrohung wird sichtbar, Äxte werden geschwungen, der Bürgermeister präsentiert salbungsvoll ein Gewehr für den noblen Freitod. Heller setzt zuletzt eine grausame Pointe, doch Alfred ist nicht zu retten: Er hat die Schuld akzeptiert. Claire singt zum Schluss Verse des jüdischen Dichters Itzik Manger, vom Video lächelt gütig ihre Großmutter. ||

DER BESUCH DER ALTEN DAME
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | 25. Juni, 11., 17. Juli | 19.30 Uhr | Tickets 089 5234655

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