David Hermann inszeniert Richard Wagners »Parsifal« mit viel Umsicht am Staatstheater Nürnberg

Parsifal

Gralswunder mit Warnung

Parsifal

(V.l.n.r.): Sara Šetar, Chloë Morgan, Kabelo Lebyana, Joohoon Jang | © Ludwig Olah

Ritter und Knappen in roten Strumpfhosen und blond-gelben Perücken. Ein untersetzter, gemütlich auftretender Gurnemanz betritt durch die Seitentüre das Parkett, baut sich vor dem Orchestergraben auf und fordert Knappen wie Zuschauer zum Aufwachen und Morgengebet. Vorhang auf für Nürnbergs neuen und frischen »Parsifal«. Richard Wagners Bühnenweihfestspiel (1882), schon Jahre früher geplant, aber pandemieverschoben, übernehmen am Staatstheater der neue Generalmusikdirektor Roland Böer und Regisseur David Hermann. Auf der Bühne steht als ein hölzernes Drehkarussell ein Balkenverschlag, der, mal Waldhütte, mal Schaukasten in die Vergangenheit, mal Gralstempel, die Heimat der Gralsritterschaft ausmacht. Und man merkt gleich, weit her ist das nicht mehr mit der edlen Männergemeinschaft, deren eigentliche Sendung es ist, in die Welt hinauszuziehen, um den Bedrängten zu helfen.

Man mag das als Ironie deuten, was Hermann hier auf die Bühne stellt, oder aber als gehöriges Misstrauen gegenüber diesen männerbündischen Heilsbringern. Der Regisseur teilt die drei Akte von Wagners letzter Oper in ganz unterschiedliche Perspektiven. »Das Stück hat große Kontraste«, erzählt Hermann. »Deshalb auch der Reiz, für jeden Akt einen völlig unterschiedlichen Ansatz zu finden. Im ersten Akt ging es für mich darum, die ganzen Erzählungen rund um den Gral sinnlich zu formen und auch das Ritual zu erfüllen. Und es so erfinden, dass es das Publikum auch staunend macht.« Das gelingt durchaus. Gurnemanz ist eine Art Generalsekretär der Ritterschaft. Amfortas als sündiger und an einer sich nie schließenden Wunde leidender Gralshüter beschwört Titurel, den Altkönig, das lebensverlängernde Gralsritual nicht zu vollziehen, damit er endlich sterben kann. Doch seine Ritterschaft besteht darauf. Parsifal, der in den heiligen Bezirk eingedrungen ist, darf all die Wunder sehen. Da er aber schweigt und scheinbar kein Mitleid mit der zerfallenden Gemeinschaft zeigt, wird er als törichter Knabe von Gurnemanz weggejagt.

Musikalisch ergänzen sich Regie und Dirigat bestens. Böer holt wuchtige Klangfarben aus der Partitur und geht mit rascheren Schritten und höherer Orchesterlautstärke durch die Geschichte, als mancher Wagner-Purist gewohnt sein mag. Aber das passt. Und niemals überfordert er seine hervorragenden Solisten, die dem jederzeit standhalten können. Den zweiten Akt, der im Zauberreich des gefallenen Gralsritters Klingsor spielt, verlegt die Regie in eine Bühnenoptik und Aufführungspraxis von 1925. David Hermann erinnert damit an das prächtige Jugendstiltheater, das Nürnberg zu dieser Zeit hatte und ein gutes Jahrzehnt später auf Hitlers Anweisung zerstört und im neoklassizistischen Stil neu ausstaffiert wurde, inklusive »Führerloge«. Schwarz-weiße Videoinstallationen projizieren die alten Theatersäulen über die aktuelle Bühne, und Kundry, das verführerische Zauberweib unter Klingsors Knute, soll Parsifal die Keuschheit rauben, um ihm seine Gralsbestimmung zu nehmen. Als ihr Kuss Parsifal zur Besinnung bringt, ist die Erkenntnis für seine Herkunft und Berufung unmittelbar wach. Er bietet auch Kundry, die einst den Heiland auf seinem Kreuzweg verlachte, Erlösung vom Fluch, zeitlos durch die Geschichte irren zu müssen. Doch scheint die Erkenntnis Parsifal einen Anflug von Größenwahn zu verleihen. Wild gestikulierend und den Finger erhebend, steht er hoch auf der Bühne. Und als Klingsor noch einmal den Kampf sucht, lässt er mit weiten Zaubergesten die Theaterprojektion zerplatzen, und Szene und Akt enden im Bild des Nürnberger Nazitheaters mit Hakenkreuz.

Ob nun Parsifal plötzlichen Gröfaz-Fantasien verfallen ist oder Klingsors Reich als Drittes-Reich-Analogie zusammenbricht, darf der Zuschauer für sich selbst finden. So ist dann auch der dritte Akt mit der Überschrift »Endspiel« mehrdeutig gestaltet. Gurnemanz betrauert den scheinbar unaufhaltbaren Verfall des Gralsordens, als Parsifal nach langer Zeit der Suche zurückfindet. Aber entgegen Wagners Vorlage ist er nicht allein. Mit ihm Männer und Frauen in weißen Schutzanzügen. Parsifal ist also nicht nur einer, und es sind nicht nur Männer, die Rettung und Erlösung bringen. So vollzieht sich noch einmal das Gralswunder vor der Gemeinschaft. Der Gral wird enthüllt, heilt alle Wunden, löst Verwünschung und Verstrickung. Hermann lässt dazu einen schwarzen Spiegelmonolithen auf einen Stab heben. Die Nürnberger Gralsritter fangen dessen Licht mit eigenen Spiegeln und projizieren es über Bühne und Zuschauerraum. So endet der Nürnberger »Parsifal« als Sonnenkult zwar nicht christlich fromm, aber zuversichtlich. Und doch noch einmal als Warnung, Heilsbotschaften zu misstrauen und die Zukunft nicht in kindlicher Naivität zu gestalten. ||

RICHARD WAGNER: PARSIFAL
Staatstheater Nürnberg | Richard-Wagner-Platz 2 | 20. Mai | 17 Uhr | Tickets: 0911 660696000

In der aktuellen Ausgabe finden Sie außerdem Florian Welles Besprechung von Kieran Joels »Parzival«, ebenfalls am Nürnberger Staatstheater zu sehen. Hier geht es zum Kiosk.

 


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