Rita Argauer hat sich die erste Veröffentlichung von aDevantgarde records angehört. Da gibt es einiges zu entdecken.
aDevantgarde
Wenn schon Quartett, dann richtig
Wenn Künstlerinnen und Künstler selbst ein Festival kuratieren, ändert sich das Programm. Der Fokus ist ein anderer, als wenn etwa ein zwangsläufig kommerzieller denkender Veranstalter dazwischen sitzt. Besonders deutlich wird das seit 30 Jahren beim aDevantgarde Festival in München. Gegründet 1991 auf Initiative von Wolfgang Killmayer und dessen Studierenden, hört man dort bis heute Musik, die in alle möglichen Richtungen denkt und von allen möglichen
Strömungen durchbrochen wird. Jetzt hat die aDevantgarde als kollektives Komponistinnen- und Komponisten-Label die erste Compilation herausgegeben.
Die Haltung darauf ist ganz nach dem Motto: Was heute Avantgarde ist, ist morgen Klassik. Also, was haben diese drei mit der aDevantgarde verknüpften Komponisten-Generationen im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert so fürs Streichquartett geschrieben? Für diese klassischste aller Kammermusikbesetzungen. Wir hören: »String Quartets by Adevantgarde Composers«. 13 Stücke, entstanden zwischen 1997 und 2019. Es spielt das Zentaur-Quartett, in dem, neben Annette Fritz (1. Violine) und Marc Kaufmann (2. Violine) mit der Bratschistin Katharina Schmauder und dem Cellisten Caio de Azevedo, auch zwei auf dem Doppelalbum vertretene Komponisten spielen.
Wie der Pate des Ganzen steht Moritz Eggert (Adevantgarde-Mitbegründer und Kompositionsprofessor, etwa auch von Katharina Schmauder) mit seinem Werk ganz am Ende der zweiten CD. »Et in Arcadia Ego« heißt das 16-minütige Stück, sein 2. Streichquartett, komponiert 1997. Es ist ein für Eggert ungewöhnlich melancholisches Stück. Klagende Einzeltöne, gezogen und verklingend, nur untermalt von sanftem Flirren. Sie finden sich zusammen zu einem harschen Tremolo. »Und in Arkadia ich« ist eine in der Renaissance als Memento Mori gebrauchte Phrase. Eggert schrieb dazu Musik, die in ihrer abstrakten Absolutheit bei sich bleibt, um Schönheit und deren Vergänglichkeit nachzuspüren. Dazu passt das Stück von Sandeep Bhagwati, Eggerts aDevantgarde-Kollege erster Stunde. Es ist ebenfalls ein Memento Mori, eine »Stele« für den 2006
verstorbenen US-amerikanischen Komponisten James Tenney, aber in musikalisch völlig anderem Ausdruck. Einzeltöne und deren Ereigniskraft, zwischen Improvisation und Komposition.
Dazwischen Helga Pogatschars neue, impulsive, wiederhakende Tanzmusik »Scary Meditation«. Es herrscht eine neue Ernsthaftigkeit hier. Auch bei den Jungen. Selbst bei Nina Deuse (geb. 1990), deren dreisätziges Werk »Scratch« sich in Titel und Rhythmik auf die Hip-Hop-Kultur bezieht. Scratchen, also Kratzen kann man eben nicht nur auf Schallplatten, sondern auch mit Bögen auf Streichinstrumenten. Doch hier kommt nicht der Feier-Hedonismus der Hip-Hop-Kultur durch, nicht das Kopfnicken und Bouncen, sondern das Alarmistische, wenn die Martinshorn-Quarte erklingt. Anschließend dann das Stück »Skin«, komponiert von der vier Jahre jüngeren Katharina Schmauder, die ganz selbstbewusst Melodie-Fragmente und Klassik-Anleihen verbaut. Wenn schon Quartett, dann richtig. Das trifft auch auf ihren Generationskollegen Caio de Azevedo (geb. 1993) zu: Sein 1. Streichquartett von 2014 setzt auf warme Akkorde und entwickelt fast in klassisch eleganter Rhythmik einen Streichquartett-Satz, der seine hochklassische Tradition kennt. Aber harmonisch ein bisschen schräger ist.
Mehr in der Romantik als in der Klassik sucht die mittlere Generation der aDevantgarde-Komponisten: Akkord-glühende Schönheit, die vorbeizieht, hat der 1977 geborene Markus Lehmann-Horn mit »Clouds & Fragments« 2019 geschrieben. Immer wieder gebrochen durch sich aus den Akkorden herausschälende Glissandi, ein Zwischenzustand, den auch Johannes X. Schachtner (geb. 1985) in seinem Stück »Vor Anker« sucht. Harmonisch und formal eine Spur abstrakter und kühner, schwellende Momente, die nie ganz ankommen. Entrückt, die Romantik in ihrem Willen zur Gegenwelt sucht mit Obertonreihen, also mit musikalisch ganz zeitgenössischen Mitteln, auch Carl Christian Bettendorf. Einen Outlaw-Helden, geprägt von Qual und Schmerz, zeichnet – in ebenfalls romantischer Tradition – Alexander Strauch in seinem Stück »H-I-A-S – Streichquartett Nr. 1«, nach Matthias Klostermayr, der bayerischen Robin-Hood-Figur aus dem 18. Jahrhundert. Die Geister-Séance, die das auch ist, hört man auch deutlich in Bernhard Weidners »Bruckner Schemen«: Der Welt abhandenkommen. Christian Diecks (geb. 1982) zweisätziges Stück ist zugänglich, charmant, voller Pizzicati, ganz im Jetzt und trotzdem auf der Suche nach Musik, die einen Ausdruck über melodiöse Phrasierung findet. Weg von der intellektuellen Konstruktion der seriellen Musik der Moderne, wieder hin zu einem direkter wirkenden musikalischen Ausdruck. Und mit »Pixels« hat Jacopo Salvatori (geb. 1986) seinen Inhalt (Glitch-Kunst und Computer-Grafik) und seine Harmonien in der Gegenwart gefunden. Seine Form zitiert aber mit vollen Tutti und gloriosen Soli aus der Vergangenheit.
Weitere Texte zum Musikgeschehen in und aus München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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