Lucia Bihler verlegt den Klassenkampf in Jean Genets »Die Zofen« in eine Showkulisse.

Die Zofen

Klassenkarussell

die zofen volkstheater

Illusion von Harmonie (v.l.): Claire (Jakob Immervoll), die Gnädige (Silas Breiding) und Solange (Lukas Darnstädt) | © Sebastian Arlt

Anton Tschechow hat mal geschrieben: »Wenn ein Gewehr an der Wand hängt, muss es auch abgefeuert werden.« Auf Jean Genets Stück »Die Zofen« bezogen könnte man diese Regel abwandeln: »Wenn ein Mord geprobt wird, muss auch ein Mord geschehen.« Oder: »Wenn ein Tee mit Gift gekocht wird, muss er auch getrunken werden.« Genet lässt die beiden Zofen exzessiv den Mord an der gnädigen Frau einstudieren (den gnädigen Herrn haben sie bereits durch eine Intrige ins Gefängnis gebracht).

Zur Spielzeiteröffnung hat Lucia Bihler das Stück jetzt am Volkstheater inszeniert. Sie folgt der Genet’schen Regieanweisung, nach der alle drei Damen (Zofen samt gnädige Frau) von Männern gespielt werden sollen. Und – kleiner Spoiler – sie tut gut daran! Jessica Rockstroh hat ein Spiegelkabinett mit silbernem Pferdekarussell in der Mitte und zwei Showtreppen links und rechts auf die Bühne gebaut: ein Raum voll des schönen Scheins, in dem das garstige Sein wunderbar gedeihen kann. Die Herrin dieses Reichs ist aushäusig, und so versuchen sich die Zofen am Königinnenmord. Jakob Immervoll und Lukas Darnstädt huschen erst noch geschäftig mit Federstaubwedeln durch den Raum, gekleidet in schwarze Kleidchen mit adretten weißen Schürzen und Häubchen. Doch bald widmen sie sich ihrer eigentlichen Leidenschaft: dem Spiel um Macht, Erniedrigung und Aufstand. Immervoll alias Claire plündert den Schrank der gnädigen Frau, wirft sich in Schale und kommandiert Darnstädt alias Solange vom Silberpferdchen aus herum: »Jetzt richten Sie die Schleppe, Sie Schlampe!« Doch Solange bringt nichts zustande, weder die Schleppe noch den Mord durch Erwürgen. Der Wecker klingelt, die Zeit ist um – der Mordversuch mal wieder misslungen. Pathetisch verkündet Claire: »Ich werde die Giftmischerin sein, die du nicht werden konntest.«

Die beiden sind ein Traumpaar in ihren Gefühlsschwankungen zwischen Rebellion und Unterwerfung, zwischen Hass und Verehrung für die gnädige Frau. Genet erzählt von Klassismus, und er fasst ihn in eine skurrile, überzeichnete Szenerie, der dieser Abend vollends gerecht wird. Bihler mag es optisch artifiziell und überladen, kitschig bis zur Schmerzgrenze, das hat sie bereits mit ihrer »Hedda Gabler«, die sie 2019 noch im alten Haus am Stiglmaierplatz inszenierte, gezeigt. Hier setzt sie beinahe noch einen drauf. Silas Breiding legt als gnädige Frau einen showreifen Auftritt im brustfreien Kleid hin, verzaubert seine Untergebenen und das Publikum gleichermaßen. Mit Grandezza springt sie beziehungsweise er aufs Karussellpferd, mit Leichtigkeit erklimmt sie die Pole-Stange und kreist in aller Höhe um sich selbst, bis die Zofen es ihr gleichtun und einen Moment so etwas wie Harmonie aufkommt, die Illusion, dass das doch möglich wäre: Chancengleichheit oder die Überwindung gesellschaftlicher Schranken.

Doch Genet hält es wie Tschechow, und so wird am Ende der vergiftete Lindenblütentee getrunken. Das Spiel wird zu Ende gespielt. Und dieser Abend endet mit einem Bild, das hängen bleibt. ||

DIE ZOFEN
Volkstheater | Tumblingerstr. 29 | Die Vorstellungen am 23. und 24. Jan. entfallen krankheitsbedingt | 7., 16. Feb. | 19.30 Uhr | Tickets 089 5234655

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