In seinen Bildern inszenierte Ignacio Zuloaga die »Seele Spaniens«. Die Kunsthalle feiert den um 1900 berühmten Maler mit einer hochkarätigen Ausstellung.

Ignacio Zuloaga. Mythos Spanien

Der Mythenschöpfer

ignacio zuloaga

Landleben in Kastilien (die Altstadt ist heute nationales Kulturgut) – »Frauen von Sepúlveda« | 1909 | Öl auf Leinwand, 182 × 213 cm | Ayuntamiento de Irun

Toreros und Tänzerinnen, Kleinwüchsige, arme Bauern und Bettler, Asketen und Hexen, oft vor kargen Landschaften postiert, nicht selten in düsterer Atmosphäre – der Maler Ignacio Zuloaga feierte nicht Licht, Luft und Sonne. Nicht Spaziergänge, Sommerfrische und unbekümmertes Strandleben, die Freuden der Freizeit, wie es sein spanischer Kollege Joaquín Sorolla tat, den die Kunsthalle 2016 mit einer höchst erfolgreichen Ausstellung für Deutschland wiederentdeckt hat. Der am Impressionismus orientierte Sorolla hat in Madrid als Vermächtnis ein eigenes Museum, wird gerade im Königspalast mit einer großen Retrospektive als Maler des Lichts gewürdigt. Ob nun in München Zuloaga mit seinem eher melancholischen, schmerzvollem Pathos – in dieser ersten posthumen Retrospektive in Deutschland – ebensoviele Besucher anziehen wird, ist die Frage. Zuloaga galt seinerzeit als Antipode Sorollas, bei der Frage nach Spaniens bedeutendstem Maler, auch was die Repräsentativität für Spanien und entsprechende Hochschätzung im Ausland betraf.

Ein zweiter, genauerer Blick auf die Gemälde zeigt einen Könner, einen Meister malerischen Handwerks und außergewöhnlicher Bildfindungen mit kompositorischer Prägnanz sowie irritierender emotionaler Kraft. Man kann die expressive, gleichwohl gefestigte Monumentalität seiner Figuren-Inszenierungen studieren und im Detail Effekte seiner Pinselführung entdecken. In »Meine Cousinen auf dem Balkon« (1906) sind die Textilblume über dem Dekolleté der rechten Figur und das florale Muster des Kleides der mittleren Cousine mit schwungvoll »alla prima« wirbelndem Duktus abstrahiert und zugleich sinnlich überzeugend herbeigezaubert, auch die gemalten Darstellungen auf den Fächern oder der ramponierte Lack auf der Balkonbrüstung. In 5 Gemälden begegnet man dem typischen schwarzen, mit bunten Chinoiserien geschmückten Manilatuch (die Philippinen als Importstation waren eine Kolonie Spaniens).

Zuloaga ist ein Meister der sinnlichen Charakterisierung von Armut und Glanz, von Haut und von Stoffen, von schwarzen Nuancen und weißen Handschuhen, von Spitzenshawls und Schleiern, von glänzenden Zähnen und vitalem Zahnfleisch, wie auch Rilke in Briefen rühmte. 1902 bat der Dichter, den Maler in seinem Atelier besuchen zu dürfen, hatten ihm doch bei dem 1901 in Dresden ausgestellten Gemälde der »Schauspielerin Consuelo« all die »hervorragenden Einzelheiten einer festen und großartigen Einheit«, tiefen Eindruck gemacht. Das Gemälde war 1905 Covermotiv der Zeitschrift »Jugend«, und wie in anderen deutschen Städten war Zuloaga in München in Ausstellungen präsent: 1902 und 1903 in der Sezession, noch einmal 1912 mit 25 Werken, von denen sich mehrere nun in der Hypo-Kunsthalle wieder zusammenfinden.

ignacio zuloaga

»Das Opfer der Fiesta« | 1910 | Öl auf Leinwand, 284 × 344 cm | The Hispanic Society Museum & Library, New York, seit als Leihgabe im Museo de Bellas Artes de Bilbao | © Arte Ederren Bilboko Museoa – Museo de Bellas Artes de Bilbao

Zuloaga begann seine Karriere 1889 in Paris, war befreundet mit Rodin, Toulouse-Lautrec und Ravel. Großstadtszenen und Porträts, darunter eines des Malers Émile Bernard (1897) aus dem Kreis der Cézanne nachfolgenden »Nabis« bilden das erste Kapitel der Ausstellung. Die Pariser Szenen orientieren sich an der Kunst von Edgar Degas, auch wenn sie nicht von dessen Klarheit und kompositorischer Kühnheit geprägt sind, auch nicht von der Ungeschminktheit des Blicks wie bei Touluse-Lautrec.

Danach lässt sich verfolgen, wie der im baskischen Eibar geborene Spross einer Kunsthandwerkerfamilie bei seinen Aufenthalten in Spanien den Mythos einer archaischen, vom modernen Leben überrollten Kultur erschuf, eine emotionale, gleichsam symbolische, tiefgründige Malerei der »Seele Spaniens« entwickelte. In Sevilla widmete er sich der Welt der Gitanos (der spanischen Roma), ließ sich zum Stierkämpfer ausbilden, malte Stierkampfszenen – allerdings eher hinter den Kulissen der Arena – und feurige Flamencotänzerinnen. Nach 1898 wurde, bei vielen Aufenthalten in Segovia, wo der Onkel und die Cousinen lebten, die raue Landschaft und als archetypisch in Szene gesetzte arme Bauernbevölkerung Kastiliens zu einem Hauptthema. Auch mit den Altmeistern Velázquez und Zurbaran und der Expressivität, kompositorischen Dynamik und eben entdeckten »Modernität«El Grecos hatte Zuoloaga sich auseinandergesetzt. Auch liebte er Goyas scharfen Blick und dessen »magia del ambiente«. Mit diesen seinen Motiven, darunter auch religiöse Riten der Heilandsanbetung, Büsser und Flagellanten, feierte er »sein« aus der Vergangenheit wiedererwecktes Spanien und dessen »tiefgründige Schönheit, seine glühende und zugleich keusche Sinnlichkeit, seine Seelen voller Liebe, Blut und Tod«, wie er sagte

Ignacio Zuloaga

Ignacio Zuloaga: »Meine Cousinen auf dem Balkon« | 1906 | Öl auf Leinwand, 127 × 140 cm | Privatsammlung

Der in Europa, auch in Russland und Amerika gut vernetzte Maler verlor nach dem Ersten Weltkrieg international an Resonanz und Wertschätzung. Das mag auch daran liegen, dass Zuloagas mythisches Modell eines »antimodernen«, ursprünglichen Lebens, zwar ein – in Spanien umstrittenes – neues, faszinierendes Spanienbild mit geformt hatte und damit auch Stoff lieferte für ein Interesse an nationalkultureller Identität und volkstümlicher »Echtheit«, aber ästhetisch sein Œuvre doch in der Entwicklung der Avantgarden verblasste. Wenn man es auf München bezieht: Zuloaga war bedeutsam in der Zeit einer Kunstszene – etwa die Münchner Sezession und die Künstlervereinigung »Scholle« –, die noch nicht Konsequenzen zog aus der malerischen Reflexion Cézannes. Die Entwicklung von Manet und den Impressionisten über van Gogh bis hin zu Picasso und Miró wurde zum modernen internationalen Kanon, in dem Zuloaga nicht mehr vorkam. Auch Zuloagas Nähe zum Regime des Diktators Franco trug nicht zu seinem Nachruhm bei. Nun ermöglicht das aufwändige Ausstellungsprojekt, kuratiert von Nerina Santorius und Carlos Alonso Pérez-Fajard, mit bedeutenden Leihgaben aus aller Welt und mit einem bestens informierenden und schön illustrierten Begleitband (der ersten deutschsprachigen Publikation über Zuloaga), diesen Maler neu zu entdecken. ||

MYTHOS SPANIEN. IGNACIO ZULOAGA (1870–1945)
Kunsthalle München | Theatinerstr. 8 | bis 4. Feb. 2024 | täglich 10–20 Uhr | Der Katalog (Deutscher Kunstverlag, 216 S.) kostet 48 Euro | Weitere Veranstaltungen

Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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