Das Filmschoolfest Munich präsentiert wieder die Filmemacher von morgen. Eine tragische Nachricht geht der Feier voran.

Filmschoolfest Munich 2023

Menschen und Meldungen

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Der von der Hamas ermordete Regisseur Yahav Winner thematisiert in »The Boy« sein eigenes Leben als Bewohner eines Kibbuz nahe des Gazastreifens © Go2Films

Es hängt ein Schatten über dem diesjährigen Filmschoolfest. Das britische Filmmagazin Screen Daily gab bekannt, dass der Regisseur Yahav Winner nach dem Überfall der Hamas auf sein Kibbuz Kfar Azza vermisst wurde. Seine Frau, die Filmemacherin Shaylee Atary, und ihre einen Monat alte Tochter konnten fliehen. Einige Tage später wurde die traurige Ahnung gewiss: Winner wurde bei dem Terroranschlag am 7. Oktober ermordet und ist somit eines der unzähligen Opfer der derzeitigen Eskalation im Nahen Osten. Sein Kurzfilm »The Boy« ist nun einer der 40 Beiträge, die es in den Wettbewerb des Filmschoolfests geschafft haben – und er spricht Bände. »Sirens will be heard during the film« wird zu Beginn als Hinweis eingeblendet. Für die Protagonisten seiner Geschichte sind diese Sirenen nichts Besonderes mehr. Vater und Sohn, die hier nahe des Gazastreifens als Bauern arbeiten, kennen Todesgefahr und Ungewissheit als Teil ihres Alltags. Für den jüngeren Barak wird diese dauerhaft angespannte Situation jedoch mehr und mehr zur psychischen Zerreißprobe. Winner konzentriert sich in »The Boy« auf einen Aspekt, den die Medien in dieser ganzen Tragödie unmöglich einfangen können. Er zeigt das Individuum, das unschuldig in sie geworfen ist. Die »Bösen« und die »Guten« gibt es hier nicht, nur eine Katastrophe, die im Hintergrund mehr und mehr anschwillt. Filme schaffen es auch in lediglich 23 Minuten, wenig beachtete Seiten der Realität offenzulegen. Und leider werden sie auch manchmal von ihr überholt.

Auch anderen Beiträgen gelingt es, den Menschen hinter den Meldungen ein Gesicht zu geben. In zwei Beispielen, die das zeitlose Thema Flucht behandeln, sind es sogar welche, die man bei diesem Themenkomplex erst einmal weniger auf dem Schirm hat. In seiner dokumentarischen Arbeit »Cadáver« begleitet Benjamin Kodboel einen spanischen Bestatter, der seinen Hauptfokus auf die Leichen angeschwemmter Geflohener gerichtet hat. Das Kurzdrama »The Voice of Others« von Kaci Fatima schildert den Konflikt einer Übersetzerin, die in ihrer Tätigkeit für die Asylbehörde zwischen Schicksalen und Vorschriften hin- und hergerissen ist. Doch das Filmschoolfest hat auch abseits der globalen Krisen Platz für die Geschichten jedes Einzelnen. Der norwegische Film »Superdupermegagigasingle« von Håkon Anton Olavsen erzählt gleichzeitig melancholisch und heiter eine holprige Liebesgeschichte im Skiurlaubsgebiet. Weniger lieblich geht es hingegen in »Das andere Ende der Straße« von Kálmán Nagy zu, der an einem Alltagsbeispiel die Schwierig- und in diesem Fall auch Unmöglichkeit von Deeskalation offenbart.

Im Großen wie im Kleinen – auch 2023 sehen wir auf dem Filmschoolfest, wie schwierig diese Welt ist. Und sicher schafft es kein Filmfestival, für sie funktionierende Lösungen zu finden. Doch was gefunden wird, sind Gesichter zu den zahllosen Geschichten, die sich auf unserem Planeten abspielen. Ob es die Gesichter realer Betroffener, Schauspieler oder Regisseure sind, ist dabei zweitrangig. ||

FILMSCHOOLFEST MUNICH 2023
Hochschule für Fernsehen und Film | 12. bis 18. November | Weitere Informationen

Weiteres zum Filmgeschehen in München finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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