Die großen Häuser bieten im Herbst wenig Originelles, doch Spannendes findet jenseits der beiden Staatstheater statt.

Musiktheater in München

Von Psychosen bis Biathlon

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Mozart geht immer, z.B. der »Figaro« am Gärtnerplatztheater mit Anna Agathonos als Marcellina und Reinhard Mayr als Don Bartolo © Markus Tordik PR

Mozart geht immer, und weil Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, einen neuen Da-Ponte-Zyklus will, wird der gerade mal fünf Jahre alte »Figaro« von Christof Loy durch einen neuen in der Regie von Evgeny Titov ausgetauscht. Spannend ist das Rollendebüt von Pavol Breslik als Idomeneo in der frühen Mozart-Oper, die die Bayerische Staatsoper aus dem Prinzregententheater ins Nationaltheater übernimmt. Viele junge Sängerinnen und Sänger sind ebenfalls erstmals in ihren Partien zu erleben und auch einen neuen Dirigenten gibt es. Weil Vladimir Jurowski, der GMD der Staatsoper, sich eine neue »Fledermaus« wünscht, bringt er am Tag vor Heiligabend eine Version mit Barrie Kosky als Regisseur heraus. Der hätte sicher gerne auch ein anderes Werk der »leichten Muse« inszeniert, denn so findet der Anfang, der mit der Erstaufführung von Franz Lehárs »Giuditta« in der Regie von Christoph Marthaler gemacht wurde, leider keine Fortsetzung.

Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger ersetzt die gerade noch gespielte »Zauberflöte« an seinem Haus ebenfalls durch eine neue, inszeniert von ihm selbst. Für die ebenfalls unverwüstliche »La Bohème« kann das Gärtnerplatztheater mit dem schon vielfach erprobten Traumpaar des Hauses aufwarten: Jennifer O’Loughlin und Lucian Krasznec.

Sucht man nach spannenden Musiktheater-Produktionen in diesem Herbst, wird man jenseits der Staatstheater fündig: Opera incognita spielt nach einer »Queen Poppea«, die im Volksbad (!) Monteverdi mit Songs von »Queen« verknüpfte, arrangiert für 45-stimmigen Chor, die durchgeknallte Thomas-Adès-Kammeroper »Powder her face« (die komplette Besprechung finden Sie in der aktuellen Ausgabe). Die Theaterakademie führt in der Reaktorhalle eine Oper nach »4.48 Psychose« von Sarah Kane auf. Gemeint ist mit 4.48 der Zeitpunkt zwischen zwei Medikamentendosen, in denen der Kopf am klarsten und gefährlichsten arbeitet: »Mein Verstand sagt, er will sterben.« Die Kammeroper von Philip Venables führt in eine Innenwelt voll psychotischer Zustände, die in 24 Szenen unterschiedlichste Gefühle darstellt: von Angst, Taubheit und Minderwertigkeit bis hin zu Sanftheit und Humor.

»•F•i•v•e•« dagegen handelt von Biathlon, bei dem fünf schwarze Scheiben in Weiß verkehrt werden müssen. Johannes Obermeier, der Preisträger des letztjährigen ARD-Musikwettbewerbs im Fach Klavier, ist der Komponist, er hat sich das Libretto für seine zweistündige Kammeroper selbst geschrieben, wird sie im November ebenfalls in der Reaktorhalle mit Studierenden der Musikhochschule selbst inszenieren und einen der beiden Parts für zwei Klaviere spielen: James, ein Komponist, liebt Nessy, doch eine eifersüchtige Biathlon-Kollegin schiebt ihr ein Doping-Mittel unter – mit fatalen Folgen für alle Beteiligten. Ein Chor repräsentiert die jubelnde Menge, aber auch innere Stimmen der Protagonisten. Der erste Eindruck, den Obermeier und der Sänger des James bei einer improvisierten Probe in der Musikhochschule boten, verspricht ein vielfältiges Werk, das Musical-Elemente, Jazz-Allusionen und schräge Walzer ebenso kennt wie die große melodramatische Geste, Strawinsky-Zitate ebenso wie komplexe Harmonien à la Alban Berg. ||

Staatsoper, Gärtnerplatztheater, Theaterakademie, Opera Incognita u.a. | ab Okt. 2023

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