Der BR war auch mal ein Ort für eigenwillige große Geister. Dirk Wagner verbeugt sich vor dem großen Rundfunkmann Carl-Ludwig Reichert.

Carl-Ludwig Reichert

»mia gem ums farecka ned auf«

carl-ludwig reichert

Carl-Ludwig Reichert | © Volker Derlath

De Groskopfadn hoitn unsaoan fi a bleed, und moina, das dea Sauschdoi ewig weidaged, das mia den Scheisdreeg schlucka, grod wiasnuns seawian. Do homsase fei brend. Dees weans scho no kapian«, singt Carl-Ludwig Reichert auf dem 1976 erschienenem Debütalbum »Bayern-Rock« seiner Band Sparifankal. Wer in dieser Band mitspielen wollte, musste zuerst das von Frank Zappa produzierte Captain Beefheart-Album »Trout Mask Replica« anhören. Nur wer begeistert auf die herausfordernde Musik jenes Doppelalbums reagiert hatte, durfte im zweiten Schritt das eigene musikalische Können beweisen. Schon solche Art der Band-Rekrutierung zeigt, wie kompromisslos Carl-Ludwig Reichert war, wenn ihm etwas wichtig war. Ob seine vielen Arbeiten fürs Radio als Hörspiel gesendet wurden oder als Feature, war ihm nach eigenem Bekunden egal: »Das kommt darauf an, welche Abteilung dafür bezahlt«, hatte er mal gesagt.

Die Inhalte hingegen waren ihm wichtig. Und dafür suchte er auch mal eigene Wege. Weil zum Beispiel seine Vorstellung von gutem Pop-Journalismus nicht in das Format der etablierten Zeitungen und Zeitschriften passte, fungierte er in der jährlich bei Rowohlt erschienen Buchreihe »Rocksession – Magazin der populären Kultur« nicht nur als Autor, sondern gelegentlich auch als Herausgeber. Zusammen mit Kolleg:innen wie Ingeborg Schober probierte er hier Möglichkeiten eines sich ohnehin erst etablierenden Pop-Journalismus. In einem seiner Beiträge der 1977 erschienenen ersten »Rocksession«, nämlich in »mia gem ums farecka ned auf…« – Rock in Bayern – BayernRock, vor, mit und nach »Sparifankal«, zitierte Reichert auch schon mal aus einem Interview, das es, wie er am Ende des Textes selbst bekennt, nie gegeben hat, »weil nie jemand richtig gefragt hat. Aber wenn einer gefragt hätte, hätte er diese Antwort bekommen«, so Reichert. Wer gefragt hätte, hätte dann nämlich erfahren, dass BayernRock kein Ausverkauf der bayerischen Sprache sei, und dass der Bayern-Rock erst recht nicht exotisch erscheinen mag, sondern ganz im Gegenteil authentisch! Solche Authentizität unterscheidet Reicherts eigene bayerische Songs auch von den Schlager-ähnlichen Produktionen, die in offensichtlicher Unkenntnis darüber, wie Rockmusik überhaupt klingen kann, auch schon mal als sogenannter Alpenrock gehandelt werden. Und solche Authentizität in all den Arbeiten des Mannes, der als Benno Höllteufel mit einem Freund Mundartgedichte schrieb und des Wohlklangs wegen gleich auf der dem Buch beiliegenden 7-inch-Schallplatte als Lesung mitlieferte; der in den von ihm ins Bairische und Münchnerische übersetzten Asterix-Comics die Römer selbstverständlich weiterhin hochdeutsch reden ließ; und der in seinen Büchern über Joan Baez ebenso leidenschaftlich zu berichten verstand wie über Frank Zappa. Solche Authentizät also unterscheidet am Ende auch Reicherts Radiobeiträge von dem, was aktuell die Programmverantwortlichen der hiesigen Rundfunkanstalten ihren Hörer:innen als Programmverbesserungen vorgaukeln mögen. Denn noch immer scheinen »de Groskopfadn« zu glauben, »das mia den Scheisdreeg schlucka, grod wiasn uns seawian«, um es mit Carl-Ludwig Reichert auszudrücken.

1946 in Ingolstadt geboren, hatte Reichert als Kind einmal die Ferien bei einer Tante in Zürich verbringen dürfen. Dort sah er nach eigenem Bekunden das erste Mal die Blueslegende Champion Jack Dupree, wie er am späten Nachmittag in einer Bar Klavier spielte. Reichert hatte das Ganze von draußen vor einem geöffneten Fenster verfolgt. Tatsächlich war er aber seit dieser Initialzündung inmitten der Musik, die ihn neben seiner bibliophilen Leidenschaft nicht mehr losgelassen hatte. Darum war es auch nur folgerichtig, dass er jenem Champion Jack Dupree später noch einmal begegnen sollte, diesmal als Radiojournalist, der die Blueslegende interviewen durfte. Aber auch als etablierter Rundfunkmitarbeiter mit Festanstellung ließ er sich nicht beugen. Zwar hatte er schon gegen Ende seiner aktiven Rundfunkzeit im Freundeskreis moniert, dass ihn letztlich nur die Aussicht auf die Rente noch beim Bayerischen Rundfunk mit dessen offensichtlich nicht von ihm geschätzten Programmveränderungen hielte. Trotzdem blieben seine Radiobeiträge bis zum Schluss Beispiele dafür, wie gut Radio klingen kann, wenn es sich nicht an unterstellten Massentauglichkeiten orientiert.

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