An den Pulten Münchner Orchester herrscht Veränderung. Der Herbst verspricht daher, bunt zu werden. Ein Überblick.

Orchester in München

Aufwind

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Prominenter Maestro beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks: Sir Simon Rattle | © Astrid Ackermann

Alle großen Münchner Orchester – außer dem Staatsorchester, dem Orchester der Bayerischen Staatsoper – brauchen derzeit einen neuen Chef: Mit nächster Spielzeit wird Rubén Dubrovsky neuer Chefdirigent des Gärtnerplatztheaters, wo er gerade mit einem aufregend historisch informierten »Figaro« seinen Einstand gab. Das Münchener Kammerorchester setzt nach Clemens Schuldt mit Enrico Onofri, Bas Wiegers und Jörg Widmann auf drei »associated conductors«, die sich die unterschiedlichen Programme je nach Neigung teilen. Die Münchner Symphoniker haben mit dem 41-jährigen Joseph Bastian ebenfalls eine gute Wahl getroffen. Und im Herbst beginnt Sir Simon Rattle beim BRSO, und der neue GMD der Philharmoniker, der sein Amt allerdings erst zur Spielzeit 2026/27 antreten wird, ist auch gefunden.

Lange setzten die Münchner Philharmoniker auf arrivierte Dirigenten mit großen Namen. Nach dem ebenso genialen wie charismatischen Orchester-Erzieher Sergiu Celibidache waren das James Levine, von demman sich nicht zuletzt mehr Präsenz auf dem Plattenmarkt versprach, und dann Valeri Gergiev. Von dem war nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine allerdings nichts mehr zu hören und zu sehen, schon gar keine deutliche Distanzierung vom russischen Präsidenten. So zog die Stadt endlich die Konsequenzen, die sie schon 2014 nach der Annektierung der Krim hätte ziehen müssen. Doch damals verschloss man noch, wie an vielen Stellen der Welt, die Augen und war stolz auf die Verlängerung seines Vertrags, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt im Orchester Unmut aufkam ob der mangelnden Proben-Disziplin des Generalmusikdirektors, der manche Konzerte zur Anspielprobe degradierte.

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Klangstarke neue Kraft bei den Münchner Philharmonikern: Lahav Shani | © Tobias Hase

Das wird es unter dem 34-jährigen Lahav Shani, Chefdirigent der Rotterdamer Philharmoniker und des Israel Philharmonic Orchestra, nicht geben. Bestens ist in Erinnerung, wie gut sich der gerade mal 24 Jahre junge Israeli beim Bamberger Dirigentenwettbewerb 2013 in den einzelnen Runden schlug. Damals kannte ihn noch niemand, aber sein konsequentes Feilen am Ausdruck bei Haydn und die überaus präzisen Korrekturen beim Zusammenspiel der einzelnen Streichergruppen in Alban Bergs »Lyrischer Suite« verblüffte sowohl in Weitsicht wie Durchsetzungsvermögen. Und zu hören, wie Gustav Mahlers Erste unter seiner Leitung bei den Proben noch etwas fahrig klang, das Abschlusskonzert mit derselben Musik aber dann rundum überzeugte, hat sich ebenso in die Erinnerung gebrannt wie das damalige Gespräch, in dem Shani wohlabgewogen und humorvoll über verschiedenste Themen reflektierte.

Seither hat Shani mit Erfolg viele große Orchester wie die Staatskapelle Berlin und die Wiener Philharmoniker dirigiert. Man darf also gespannt sein, wie der frische Windwehen wird, den er sicher mitbringt. Noch ist er in München trotz Konzerten mit den Philharmonikern und zuletzt beim BR ein eher unbeschriebenes Blatt. Das wird sich spätestens im September ändern. Dann dirigiert er »sein« Israel Philharmonic Orchestra mit der Ersten von Brahms und dem dritten Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven (Solist: Igor Levit). Deren Chef wird er neben den Philharmonikern bleiben, seinen Vertrag in Rotterdam allerdings auslaufen lassen. Auch dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hätte eine Verjüngung bei der Wahl des Chefdirigenten vielleicht einmal gut angestanden, mit Pablo Heras-Casado (44) etwa oder auch einer Frau wie Nathalie Stutzmann, die erst im Herbst 2022 mit groß- artigem Tschaikowsky bei den Philharmonikern überzeugte, vielleicht gerade weil Jansons einst meinte, Dirigentinnen seien »not my cup of tea«. Heras-Casado wie Stutzmann debütieren im Übrigen heuer in Bayreuth.

Aber da gab es dann doch den Griff nach den Sternen und Sir Simon Rattle (68) ist nun wahrlich keine schlechte Wahl, sondern ein vielfach Interessierter, der nicht nur als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker seinem Vorgänger Claudio Abbado ebenbürtig war, sondern an der Berliner Staatsoper eine Rameau-Oper ebenso überzeugend dirigieren konnte wie Claude Debussys »Pelléas et Mélisande« oder Leoš Janáčeks »Aus einem Totenhaus«, auch wenn sein Mozartscher »Idomeneo«, den er erst vor wenigen Monaten mit der Berliner Staatskapelle für eine extrem langweilige Inszenierung einstudierte, am Ende in edler Blässe und Getragenheiterstarrte. Da gibt es freilich bei der Neueinstudierung für eine konzertante Aufführung mit den BR-Symphonikern eine zweite Chance. Und in der übernächsten Spielzeit wird mit der »Götterdämmerung« auch das große konzertante »Ring«-Projekt vollendet.

Bei der Pressekonferenz, in der das Programm der neuen Spielzeit vorgestellt wurde, war man jedenfalls des gegenseitigen Lobes übervoll und Sir Simon gab jede Menge Kostproben seines britischen Humors. Ebenfalls im September geht er »Zurück auf Los« und dirigiert mit Joseph Haydns »Die Schöpfung« die Mär von der Erschaffung der Welt, dann aber auch Gustav Mahlers Sechste und im Oktober sogar ein Konzert der musica viva. Er ist also gleich zu Beginn so vielfältig aufgestellt, wie es Mariss Jansons kaum je war. Rattle leitet ein Familienkonzert, ist bei der Orchesterakademie aktiv, veranstaltet öffentliche Proben für Schülerinnen und Schüler und hat den »Symphonischen Hoagascht« initiiert, kann das schwierige Wort auch schon fast perfekt aussprechen. Blaskapellen aus dem gesamten bayerischen Raum konnten sich da bewerben und werden zusammen mit dem Orchester auftreten. Und bei all dem ist auch noch geplant, aus dem BRSO heraus ein Ensemble zu gründen, das auf historischen Instrumenten spielt. Ein Dirigent der Perspektiven! ||

ORCHESTERCHEFS: LAHAV SHANI & SIR SIMON RATTLE
Sir Simon Rattle, BRSO & Lahav Shani, Münchner Philharmoniker Spielzeitvorschau Saison 2023/24

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