Das TamS-Theater lädt mit »Fluchtachterl in die Hafenbar« – und in die offene See des Surrealismus.
Fluchtachterl in die Hafenbar
Vor, am, auf und unter dem Meer
Bei Shakespeare liegt Böhmen am Meer. Warum sollte München da keinen italienischen Hafen haben? Die dazugehörige Bar eröffnet das TamS für seine neue Freiluftinszenierung »Fluchtachterl in der Hafenbar« in der Garage. Dort empfängt das Personal die Gäste mit Drinks und der schmachtenden Canzone »Miramare«, ehe die Zuschauer es dann in der Arbeitspause im Hinterhof treffen. Ein Fluchtachterl ist übrigens in Österreich das letzte Glas im Stehen.
Aber bis dahin sind fast zwei Stunden Zeit. Zwischen Vorderhaus und TamS-Hinterhaus erleben wir die Baristi und Köche privat und mehrsprachig: Catalina Navarro Kirner erklärt ihrem Mann, wie er das Baby wickeln muss (»Ja, natürlich riecht das jetzt«), Severin Rauch muss sich seiner übergriffigen Mama (Irene Rovan) erwehren, man isst gemeinsam ausgiebig Pasta, Bierkästen und Surfbretter werden hin und her getragen. Eine spanische Braut sucht schreiend ihren Mann, eine Reiseführerin erklärt die Aussicht, eine Immobilienmaklerin auch, aber etwas anders: Sie müssen sich das jetzt einfach alles wegdenken! Und Sophie Wendt lernt als Postbotin mit Geburtstagspaket den Vorteil des Ungeburtstags: Den hat man 364 Mal im Jahr! Aus jedem Fenster ruft oder guckt jemand in wechselnden Verkleidungen, daneben werden eifrig Zitronen vom TamS-eigenen Zitronenbaum poliert, Seifenblasen fliegen, das Tischtuch wird unversehens zu Segeln, und schließlich finden sich alle fünf – einschließlich des mitspielenden Regisseurs Lorenz Seib – zu einem Show-Dance.
Dann bitten sie die Gäste zur Schiffsfahrt – auf der Theaterbühne. Von dort blickt man ins Parkett, also auf Strand und Meer. Severin Rauch entlockt einem Vibrafon und einem seltsamen Streichinstrument meditative Klänge. Catalina Navarro Kirner räkelt sich im Sand und kämpft komisch mit ihrem Sonnenschirm. Große Plastiktaschen (sogenannte Türkenkoffer) schweben herum und schnappen auch mal haifischmäßig zu, Regenschirme atmen wie Fische, man spielt Pingpong, und ist das jetzt ein Spazierstock oder ein Schnorchel? Hier wird alles zur Merkwürdigkeit, es ist absurd, surreal und magisch. Das eingespielte Ensemble und Regisseur Lorenz Seib haben dies selbst erfunden, spielerisch, leicht, bar jeder Logik, aber reich an Assoziationsmöglichkeiten, mit einem Spaß, der sich überträgt. Am Ende beschert ein riesiger oranger Strohhut allen einen wunderbaren Sonnenuntergang. ||
FLUCHTACHTERL IN DER HAFENBAR
TamS | Haimhauserstr. 13a | bis 23. Juli | Do bis So 20 Uhr (nicht 1. und 16. Juli) | Tickets: 089 345890
Weitere Kritiken finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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