Das Stillleben als Augenfreude und Melancholie – zwei Ausstellungen in Dachau versammeln schöne Beispiele dieser Kunst.

Stillleben in Dachau

Dinge lieben

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Blick auf die Dinge in der Tradition der Moderne – Julius Hess: »Stilleben mit Obstschale, Birne, Büchern und Flasche« | 1922 | Öl auf Lwd., 56,5 x 65,6 cm | © Hugo-Troendle- Stiftung, München

Äpfel soll man nicht mit Birnen vergleichen. Die Malerei freilich weiß es besser: Es kommt auf die Vergleichskriterien an, auf den genauen Blick. In der Stilleben-Ausstellung der Dachauer Gemäldegalerie lässt sich vieles entdecken: Bei Henri Niestlé werfen grüne Äpfel farbiges Licht in die Glasschale. Aber womit sind die Obstschalen auf den Bildern von Willy Dieninghoff, Jakob Spaeth und Annelise von Stokar gefüllt? Was alles hat Karoline Wittmann in ihrem Küchenstilleben versammelt? Die Namen dieser Künstler:innen sind kaum bekannt. Museumsdirektorin Elisabeth Boser hat – nach zuletzt Tierdarstellungen und Baum-Bildern – das Genre Stilleben gewählt und aus Werken heimischer, im Künstlerort Dachau tätiger Maler und (hier vergleichsweise vieler!) Malerinnen diese Ausstellung komponiert. Unter den 60 Werken finden sich auch Beispiele der Gattung seit dem 17. Jahrhundert (aus den Kunstsammlungen Augsburg und aus Privatbesitz), die den Vanitas-Gedanken versinnbildlichen: mit Totenköpfen und einer Kindsleiche; anhand von Musikalien; mit den toten Vögeln eines Jagdstillebens. Auf einem Gelehrtenstück mit Melanchthon-Porträt lassen sich bei genauerem Hinsehen instabile Verhältnisse im Räumlichen nachvollziehen, und auf einem virtuos mit den dargestellten Stofflichkeiten spielenden Gemälde des Niederländers Simon Luttichuys ist der Krug typischerweise umgestürzt, während der silberne Teller, die geschälte Zitrone und der Wein im und das Licht auf dem Römerglas schimmern. Eine Feier der Malerei! Und ein Memento des Vergehens allen Lebens.

Thematisch spannt sich der Bogen von Blumenstilleben – darunter zart-kräftige rote Sommerblumen des Fauvisten Henri Manguin und prächtige Chrysanthemen von Fritz Strobentz und natürlich auch unvermeidliche Sonnenblumen – bis hin zu Atelier-Interieurs und Szenen im Café, Wirtshaus und Biergarten. Entsprechend lassen sich viele Vasen, Krüge und Trinkgefäße studieren oder Beigaben – wie der giftgrüne Keramikfrosch unter Strobentz’ Chrysanthemen – und persönliche Details in den inszenierten Gegenständen entdecken. Oder eben Äpfel und Bananen vergleichen. Im »Stilleben mit Obstschale, Birnen, Büchern und Flasche« von Julius Hess wäre zu prüfen, ob die runde rote Frucht in der Schale ein Apfel oder vielleicht ein Pfirsich ist. Betitelt (und somit identifizierbar) werden Bilder ja nicht nur vom Urheber, sondern auch von vermittelnden und kunsthistorischen Instanzen. Gewidmet hat es Hess, 1914 Mitbegründer der neuen Sezession und ab 1927 Professor an der Münchner Akademie, 1922 seinem Freund und Kollegen Hugo Troendle, der wie Hess das Werk von Paul Cézanne bewunderte, dem Erfinder der modernen Malerei, in dessen Tradition sich das Stillleben stellt. Troendles schönster »Stillleben«-Beitrag in der Schau wiederum sind die hochgereckten Zeitungen auf einer Zeichnung von Caféhausbesuchern in Venedig. Mit drei Bildern des Dachauers August Kallert hat die Kuratorin eine Atelier-Ecke arrangiert: mit Staffelei, Mallappen und echter Kaktee.

Ein Video-Display von Stefanie Pöllot verbindet die Ausstellung im Museum – der Dachauer Fundus datiert aus dem Zeitraum 1880 bis 1988 – mit der zweiten Ausstellung in der Neuen Galerie mit zeitgenössischen Auseinandersetzungen zum Thema. Die kleinen und detailreichen Videoinstallationen der Nürnbergerin setzen sich aus genretypischen Elementen wie Blumenvase, Sanduhr, Teller, Kelch, Flakon, Buch, Stoffdraperie, Perlen Spiegel und Bilderrahmen zusammen. Aber auf den weißen oder spiegelnden Flächen dreht sich und bewegt sich was: Boote auf Wasserflächen, Kettenkarussell und Riesenrad, eine rotbehoste Frau und Tänzerinnenbeine.

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Stillleben auf dem Boden, aus verschienen Perspektiven gleichzeitig gesehen – Ein Tryptichon von Barbara Probst: »Exposure #138, Munich, Nederlingerstrasse 68, o8.13.18, 2:47 p.m. | 2018 Pigmentdruck auf Baumwollpapier, je 122 x 75 cm | Courtesy Galerie Kuckei + Kuckei, Berlin

In den kühlen Räumen der Neuen Galerie trifft man auf eine den Raum beherrschende Installation von Siegfried Urlberger. Was wie ein Lager voller Schrott und Relikte anmutet, ist ein in vielem überraschend inszeniertes Arrangement seltsamer Sammelstücke des Münchner Künstlers: Die Stühle mit längst verjährtem Industriedesign (und heutigem minimalem Sammlerwert?) haben vielleicht noch nicht ausgedient, aber sind die Reflektor-Leuchten noch brauchbar? Das langgestreckte eiserne Gefährt hat kaputte Gummiräder und mündet in ein propellerförmiges Werkzeug. Als Krönung des Ganzen, und durchaus barock: zur Wiederverwendung aufgerollter Stacheldraht. Je länger man darum herumschleicht, desto mehr kommt man ins Grübeln, was Gebrauchsform und Ästhetik, Nutzen, Kostbarkeit und Wertlosigkeit betrifft. Wird durchdrungen von Melancholie, wie sie ja der Gattung der Nature morte entspricht. So wie in Musils Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« diskutiert wird, dass alle künstlerischen Darstellungen von Dingen und von Leben, dass »alle wahren Stilleben diese glückliche unersättliche Traurigkeit erregen können. Je länger man sie ansieht, desto deutlicher wird es, daß die von ihnen dargestellten Dinge am bunten Ufer des Lebens zu stehen scheinen, das Auge voll Ungeheurem, und die Zunge gelähmt«. Nun, ein gemalter Blumenstrauß will und kann vielleicht auch erfreuen. Die Niederländerin Margriet Smulders arbeitet mit frischen Blüten – und steigert deren sinnliche Wirkung mittels Wasser und Stoffen, Glas und Spiegeln und fotografischer Ausleuchtung in verwirrende Höhen.

Die weiteren gezeigten Arbeiten zeichnen sich ebenfalls durch sensible Sinnlichkeit der künstlerischen Mittel aus, gepaart mit, gebrochen durch konzeptuelle Konsequenz. Die Fotografien der Münchnerin Eva Jünger präsentieren verwelkte, getrocknete Pflanzen und oszillieren zwischen der verblichenen Pracht und der Fixierung einer zweiten, zarten Schönheit. Fotorealistisch fein gemalt sind die Atelierstilleben der Münchner Malerin Brigitte Stenzel. Eine Dreier-Serie, mit Materialien und Handwerkszeug, dabei auch anspielungsreichen Requisiten wie Knochenschädel, Getränk und Glaskugel, was sich zu einer Allegorie und Selbstreflexion des Malens und Komponierens verbindet.

Ein Atelierstilleben kann vom Ästhetik-Anspruch der Kunst im Leben zeugen wie beispielsweise das farbenstarke und wunderreiche von Emilie Mediz-Pelikan (1890) in der Sonderausstellung der Gemäldegalerie: mit seinen Ziertellern und Pflanzenarrangements, Kacheln am Schränkchen, exotischen Masken und Kunsthandwerk, mit den vielen Bildern, die den Raum schmücken und die Hingabe an die Kunst bezeugen. Ähnlich das Küchenstilleben »Epitaph für das 20. Jahrhundert (die Moderne)« von Florian Froese-Peeck in der Neuen Galerie, nur dass hier bei diesem 50er-Jahre-Küchenschrank die Bestückung mit beredten Dingen und Bildzitaten ins Extrem gesteigert wurde. Wahrlich ein Wimmelbild und eine Wunderkammer. Das 1000-seitige Werk »Von der Wahrheit« des Philosphen Karl Jaspers hat der Künstler auch in sein Dyptichon »Zu dem Gefühl der Dinge« aufgenommen, das ein überbordendes Arrangement aus Blumen, Leuchten, Kitsch und privaten Dingen in zwei Zuständen präsentiert: »nachher« sind die Blüten verwelkt, aber die Lampen leuchten.

Mit Mobiliar konfrontieren uns auch die zarten Gemälde der Züricherin Monika Rutishauser: Der Design- und Lifestyle-Appeal dieser stummen Dinge im Regal wie Geschirr oder der Formen-Details von Pflanzen und Stühlen gibt Rätsel auf. »Es ist ja natürlich, dass man jedes dieser Dinge liebt, wenn man es malt; zeigt man das aber, so macht man es weniger gut; man beurteilt es, statt es zu sagen«, schreibt Rilke in seinen Briefen über Cézanne. Es käme also darauf an, zur puren Poesie der Dinge zu gelangen. Um ein Verhältnis zu den eigenen wie zu den gewissermaßen einsamen Dingen zu gewinnen, muss man sie arrangieren. Und Perspektiven darauf wählen. Das geht auch unter dem Tisch, wie Barbara Probst, die fünfte aus München, in ihren choreografierten Foto-Konstellationen zeigt. Die Zitrone, die Krüge, die vergossene Milch, ein Bein der Künstlerin, sie alle treten auf der Bühne des Fußbodens auf. Und zwar im selben Augenblick, gleichzeitig ins Bild gesetzt von mehreren Kameras aus unterschiedlichen Perspektiven. Denn es geht beim Sehen um das Sehen. ||

INS RECHTE LICHT GERÜCKT. STILLLEBEN
Gemäldegalerie Dachau | Konrad-AdenauerStr. 3 | bis 24. September | Di bis Fr 11–17 Uhr, Sa, So, Feiertag 13–17 Uhr | Sonderveranstaltung »Flower Power in Kunst und Natur« mit Floristik: 22.7., 14–16.30 | Kombiführung: 23.7., 14–15.30 Uhr

INSZENIERTE MOMENTE – STILLLEBEN HEUTE
Neue Galerie Dachau | Konrad-AdenauerStr. 20 | bis 23. Juli | Di bis So/Fei 13–17 Uhr

Website der Dachauer Galerien und Museen

Weitere Ausstellungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.

 


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