In »Mit Liebe und Entschlossenheit« von Claire Denis gebiert der Schatten der Vergangenheit ein nicht mehr zu bändigendes Monster.

Mit Liebe und Entschlossenheit

Ohne Vertrauen

mit liebe und entschlossenheit

Sara (Juliette Binoche) auf dem Weg in den Abgrund | © Arsenal Film

»Das Vergangene ist nie tot. Es ist nicht einmal vergangen«, diese Sätze William Faulkners hängen wie ein Damoklesschwert über dem Leben von Sara und Jean: ein gesetztes und glückliches, einander begehrendes Paar, auf wenig Raum in schöner Einzimmerwohnung über den Dächern von Paris lebend. Und das nicht erst nach der Hälfte des Films, wenn die Vergangenheit Sara in Gestalt eines verlassenen Liebhabers einholt. Denn schon in den ersten Minuten zelebriert Claire Denis eine fast unwirkliche Idylle wie zu Beginn vieler Horrorfilme: Mann und Frau im Meer, sich herzend und er sie schließlich auf Händen haltend. Das Wochenende hätten sie sehr entspannt verbracht, wird Jean später sagen und Vincent Lindon schaut da bereits halb fassungslos, halb verletzlich, wie sein Blick später immer wieder eine unausgesprochene Frage in die Welt schickt. Dass er im Gefängnis war und beruflich erst wieder Fuß fasst, wird nur nebenbei erwähnt und ist doch essentiell für seine spätere Verunsicherung.

Ganz anders Juliette Binoche, mit der Denis schon »Meine schöne innere Sonne« (2017) und »High Life« (2018) drehte. Ihr beinahe altersloses Gesicht besitzt eine staunenswerte Ausdruckskraft und Durchlässigkeit für unterschiedlichste Empfindungen und Gefühle; etwa wenn Gefasstheit und im Inneren lodernder Aufruhr sich unheimlich überlagern. Aus einem Impuls heraus getrennt haben sich einst Sara und François (Grégoire Colin), Freund und Geschäftspartner ihres späteren Mannes Jean. Jahre später begegnen sich die beiden wieder, und mit wenigen Gesten, Blicken und Worten wird deutlich, dass diese Beziehung einfach mittendrin angehalten wurde. Begleitet von der grandios unheilschwangeren Musik der britischen Band Tindersticks folgen blinde Eifersucht und infame Lügen. Während die Männer stur agieren, versucht die Frau, ihrem Herzen zu folgen und die Ambivalenz der Gefühle auszuhalten. Am Ende steht sie buchstäblich mit leeren Händen da, denn im Mobiltelefon, das ihr in die Wanne gerutscht ist, wurde alles gelöscht.

Claire Denis erzählt bis zur Hälfte des Films beinahe nüchtern von Sara und Jean, um dann mit der zarten Berührung der Gesichter von Sara und François eine Lawine in Gang zu setzen, deren Wucht vom zunehmenden Einsatz der Handkamera intensiviert wird, jedes Detail hinreißend inszeniert und gespielt. Der störrische 15-jährige Sohn Jeans (Issa Perica) und Großmutter Nelly (Bulle Ogier) sind in diesem Zweipersonendrama kaum existent, selbst wenn die Außenwelt in Form von Coronamasken immer wieder mahnend ins Bild rückt. Als Beobachter wird man ins Auge dieses Taifuns gerissen und sieht fassungslos zu, wie der Strudel Sara und Jean langsam, aber immer schneller in die Tiefe reißt. ||

MIT LIEBE UND ENTSCHLOSSENHEIT
Frankreich 2022 | Regie: Claire Denis | Buch: Christine Angot, Claire Denis | Mit: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Issa Perica, Bulle Ogier, Mati Diop | 116 Minuten | Kinostart: 13. Juli | Website

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