Mit biblischem Werkzeug erforscht Regisseurin Aye Güvendiren in »Die Geschichte von Goliat und David« die Hintergründe von Rassismus und Polizeigewalt.
Die Geschichte von Goliat und David
Zwischen Trauma und Mythos
Verhörraum oder Orakel? An beides denkt man bei der seltsamen achteckigen Zelle, die Theresa Scheitzenhammer für Ayșe Güvendirens jüngste Regiearbeit in den Werkraum gestellt hat, mit einem Boden aus Luftschachtgitter und vier Wandteilen, die auch als Projektionsfläche dienen, darüber ein Fries mit roter Leuchtschrift, die mal »sagen sie« und mal »sag nie« lesen lässt. Şafak Şengül und ihre Mitspieler Sebastian Brandes und Servan Durmaz sowie der Musiker Mikaîl Ezîz sind von Anfang an auf der Bühne als abwechselnd Singende, Sprechende und Beobachtende. In olivgrünen Unisexanzügen, die einerseits polizeilich, andererseits seidig elegant anmuten, und mit puppenhaft geschminkten Gesichtern begleiten sie die dokumentarische Reise in ein unwegsames Niemandsland zwischen Trauma, biblischem Mythos, türkisch-kurdischem Konflikt und einem dunklen Kapitel deutscher Migrationsgeschichte.
Mit ihrer Abschlussinszenierung »R-Faktor. Das Unfassbare« an der Otto-Falckenberg-Schule, einer hochbrisanten Recherche über Rassismuserfahrungen im Kulturbetrieb, machte Ayșe Güvendiren 2021 Furore und gewann den Wettbewerb des Körber Studios Junge Regie. Und das Rassismusthema in transnationaler Form nimmt sie auch mit in ihre neue Arbeit »Die Geschichte von Goliat und David«, eine Koproduktion von Münchner Kammerspielen und Schauspiel Hannover auf den Spuren einer ungeahndeten polizeilichen Gewalttat aus dem Jahr 1994: Damals wurde der 16-jährige Kurde Halim Dener bei einer nächtlichen Plakatklebeaktion für eine PKK-Kundgebung am Steintor in Hannover von einem deutschen SEK-Beamten angeblich versehentlich bei einer Routinekontrolle erschossen. Erst wenige Wochen zuvor hatte er in Deutschland Asyl beantragt. Auf der Flucht vor Repressionen durch die türkische Regierung, denen er in seiner Heimat ausgesetzt war, geriet er dabei mitten in die aggressiv aufgeheizte Stimmung der 1990er Jahre nach den rechtsextremen Anschlägen von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln.
Die Hindernisse und Widerstände, auf die Güvendiren bei ihrer Spurensuche nach so langer Zeit trifft, liegen heute jedoch vor allem in der Türkei, ja sogar in der eigenen Familie: »Das ist gerade Politik, was du da treibst«, »Du spielst nicht nur mit deinem eigenen Leben, sondern mit dem von uns allen«, »Gute Reise, meinen Segen hast du allerdings nicht« – so nur einige der Stimmen, die teils auf Türkisch aus dem Off eingespielt werden. Die Befragung der Familienangehörigen des Opfers von damals müssen abgebrochen werden, weil ein Bruder im Dezember 2022 in der Türkei verhaftet wird. Der Vorwurf: Beteiligung an einem Anschlag in Istanbul, Gegenbeweise und ein Alibi werden nicht akzeptiert. Doch wer ist hier eigentlich Goliat und wer David? Wer der Starke und wer der Böse? Der deutsche Polizist, der aufgrund fehlerhafter Beweisführung freigesprochen wurde, die türkische Geheimpolizei, die die Kurden nach wie vor unterdrückt und verfolgt – oder war Goliat vielleicht sogar in Wirklichkeit verletzlicher als David, schwerfällig und kurzsichtig durch einen Gehirntumor, der zu Gigantismus führt? Der Mythos mit seiner nur scheinbaren Eindeutigkeit der Kräfteverhältnisse liefert keine Antworten und erweist sich als Blaupause für die Unübersichtlichkeit einer Realität, in der Güvendiren mit sprödem Eifer forscht und doch nicht alle Schichten freilegen kann. ||
DIE GESCHICHTE VON GOLIAT UND DAVID
Werkraum | 24., 25. Juni | 19.30 Uhr | Tickets: 089 23396600
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