Das Festival aDevantgarde präsentiert neue, ungewohnte Kammermusik, in der inzwischen 17. Ausgabe. Ein Überblick über die Fülle.
aDevantgarde 2023
Quadrillen, Aventures
Wie die »Münchner Biennale – Festival für neues Musiktheater« seit ihrer Gründung durch Hans-Werner Henze 1988 erfindet sich deren kleine Schwester, das aDevantgarde-Festival für zeitgenössische Kammermusik mit dem bezeichnenden Untertitel »Music Festival Made by Composers« immer wieder neu. Es wurde 1991 von Studenten um den Münchner Komponisten Wilhelm Killmayer ins Leben gerufen, um Musik jenseits der jeweiligen Avantgarde zu präsentieren. Aber eine Konstante gibt es: Auch die 17. Ausgabe strebt »eine möglichst große Vielfarbigkeit und ganz unterschiedliche ästhetische Stoßrichtungen an«, so Johannes X. Schachtner. Er ist in diesem Jahr neben Alexander Strauch und Markus Lehmann-Horn als Festivalleiter einer der »Projektverantwortlichen«. Vier der insgesamt sieben Konzerte finden in Münchens schönstem und akustisch besten Raum für zeitgenössische Musik statt, dem Schwere Reiter.
Der ebenso schöne wie vieldeutige Titel »Bieder_Meier_X« der diesjährigen Ausgabe spielt darauf an, dass zu Pandemiezeiten, wenn überhaupt, nur kleinere Formate möglich waren, wie sie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in bürgerlichen Kreisen als musikalischer Salon üblich und Treffpunkt von Musikinteressierten aller Couleur waren. Wie damals wird auch heute in unterschiedlichen (Kammer-)Besetzungen musiziert: Da gibt es die klassischen Formationen wie Streichquartett, Klaviertrio oder Gitarrenduo, aber auch ein Saxofon-Trio. Das Minguet Quartett und Zentaur-Quartett spielen neue Werke und Repertoire-Stücke von Komponistinnen und Komponisten verschiedener Generationen, unter anderem von Jörg Widmann, Moritz Eggert und Peter Ruzicka. Höhepunkt dürfte die Uraufführung des neuen Oktetts der ukrainischen Komponistin Anna Korsun werden.
Am Eröffnungsabend in der Seidlvilla wird auch die erste (Doppel-)CD des neuen hauseigenen Labels von aDevantgarde vorgestellt. Auf ihr ist das Zentaur-Quartett zu hören, unter anderem mit einem Werk von Festival-Mitbegründer Sandeep Baghwati zu seinem 60. Geburtstag. In Zukunft soll das Label verschiedenen, mit dem Festival verbundenen Komponistinnen und Komponisten die Veröffentlichung von CD-fähigen Mitschnitten ermöglichen, aber auch besondere Aufnahmen aus dem eigenen Archiv verfügbar machen. In der Bayerischen Akademie der Künste geht es ebenfalls, aber nur was die Besetzung Geige, Cello und Klavier angeht, ganz konventionell zu: Neben Uraufführungen, etwa von Festivalleiter Markus Lehmann-Horn, gibt es mit Werken von Charlotte Bray und Manuela Kerer vor allem Kompositionen von Frauen zu hören. Johannes X. Schachtner verspricht für den Gitarren-Duoabend mit Adrian Pereyra und Ruben M. Santorsa »echt Hardcore«, was sich damit erklären lässt, dass es weniger beschaulich getupftes Biedermeier-Musizieren geben wird, als das Rocken zweier E-Gitarren. Und die können ja ganz schön schrägen Lärm produzieren.
Ein Programm mit dem Ensemble via nova aus Erfurt und dem Ensemble MIET+ aus Weimar bietet zusammen mit der Sängerin, Schauspielerin und Performerin Salome Kammer unter dem Titel »Salon des Femmes« ausschließlich Werke von Komponistinnen: Macarena Rosmanich, Margareta Ferek-Petric, Marta Kowalczuk, Eunsil Kwon, Magdalena Grigarová und Aigerim Seilova. Salome Kammer feiert zusammen mit der Koloratursopranistin Coco Lau und dem Bariton Ansgar Theis den 100. Geburtstag von György Ligeti. Johannes X. Schachtner wird in diesem Konzert NAMES aus Salzburg dirigieren, die gerade mit einem Ensemble-Förderpreis der Ernstvon-Siemens-Musikstiftung ausgezeichnet wurden. Er hat ein KI-generiertes Libretto zu Ligetis »Aventures« vertont, also für dessen zentrales Werk, das ebenfalls an diesem Abend aufgeführt wird.
Unter dem schönen Namen Trio Abstrakt verbergen sich der Saxofonist Salim Javaid, die Perkussionistin Shiau-Shiuan Hung und Marlies Debacker am Flügel, während das ensemble recherche mit seinen 1 000 Uraufführungen und 60 CD-Einspielungen keine Interessenten für moderne Musik mehr vorgestellt werden muss. Das sich stetig verjüngende achtköpfige Team aus Freiburg präsentiert eine Uraufführung von Festivalleiter Alexander Strauch und spielt an einem Abend mit dem Trio Abstrakt aus Köln. Der Kehraus unter dem ebenso geschmeidigen wie sanft ironischen Titel »ADE:SALON« bringt im letzten Konzert der diesjährigen aDevantgarde im Einstein Kompositionsklassen und ältere, erfahrene Musiker zusammen. Das Ensemble Walzerklang aus Innsbruck, ein kleines Salonorchester mit Flöte, Klarinette, Geige und Cello, Klavier, Trompete und Schlagzeug, widmet sich zahlreichen Miniaturen zwischen »Cluster, Geräusch, Aufschrei, Stille, Struktur, Spektralismus und Zufall«, die extra für diesen Abend komponiert wurden, aber auch der klassisch-romantischen Wiener Tanzmusik des 19. Jahrhunderts. Schachtner verdeutlicht das Konzept an seinem eigenen Werk für diesen Abend, der auch szenische Elemente enthalten soll: »Ich habe in einer Quadrille lauter Themen aus Opern in zwei Minuten verwurschtelt!« ||
ADEVANTGARDE
Seidlvilla/Schwere Reiter/Einstein Kultur/Bayerische Akademie der Schönen Künste
17. Juni–2. Juli
Tickets an der Abendkasse der Spielorte
Programm
Weitere Vorberichte zum Münchner Musikgeschehen finden Sie in der akutellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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