München vor 100 Jahren: Stefan Bachmann inszenierte Feuchtwangers Roman »Erfolg« als grotesk-gruselige Revue. Ziemlich großartig.

Erfolg

Gespenstischer Gesellschaftsreigen

erfolg

Die Münchner Society hält dicht zusammen gegen Martin Krüger (Thiemo Strutzenberger, im weißen Hemd). Nur Johanna (Liliane Amuat, Mi.) steht zu ihm | © Birgit Hupfeld

In der Wand aus Anthrazit-Quadern öffnet sich langsam weit oben ein Spalt, Gesichter erscheinen, schließlich drängt sich das Ensemble verrenkt im niedrigen Guckkasten. Stummfilmmäßig geschminkt skandiert es im Chor die Ungerechtigkeiten einer Willkür-Justiz. So beginnt Stefan Bachmanns Inszenierung im Residenztheater. Der Guckkasten bleibt danach die enge Zelle von Martin Krüger: Man hat den missliebigen, weil progressiven Museumsdirektor wegen angeblichen Meineids ins Zuchthaus gesperrt.

Das ist der Ausgangspunkt für Lion Feuchtwangers Roman, den er 1927 bis 1930 in Berlin schrieb, wohin der Münchner mit 40 umgezogen war. Heute gilt »Erfolg« als Schlüsselroman über München von 1920 bis zum Hitler-Putsch 1923. Quasi als Ethnologe blickt Feuchtwanger auf den bayerischen Volksstamm und seine Mentalität. »Drei Jahre Geschichte einer Provinz« (so der Untertitel) ist ein satirisches Sittengemälde mit präzisem Lokalkolorit, erkennbaren Zeitgenossen und großartigen Sottisen über die Bewohner des Bayernlandes. 1986 hat Hans Hollmann den Roman erstmals am Residenztheater inszeniert. Nun hat Stefan Bachmann, Noch-Intendant in Köln und ab 2024 Burgtheaterchef, ihn dort als grotesk-gruselige Revue umgesetzt. Er und seine Dramaturgin Barbara Sommer haben die fast 900 Seiten auf zweieinhalb Stunden Spieldauer eingekürzt, die Personen auf 14 reduziert, gespielt von zehn Darstellern. Bachmann abstrahiert die Figuren zu sozialen Prototypen: Kapitalismus, Kommunismus, Nazi, Justiz, Großbürger, Nachtleben. Grell überzeichnet, teils bis zur Karikatur. Meist erklären sie sich monologisch selbst, anderes klärt sich in Dialogszenen. Bachmann liefert keinen Realismus und aktualisiert nichts, die Parallelen sind eh unübersehbar.

Thiemo Strutzenbergers Krüger in seiner Zelle wird vom hedonistischen Lebemann zum Märtyrer, während unter ihm der beförderungsgeile Gefängnisdirektor vorbeischleicht. Die Wand fährt auseinander und öffnet eine neblig verhangene Drehbühne (Bühne: Olaf Altmann), umgeben von hohen Straßenlaternen wie ein KZ-Gelände. Das Ensemble tänzelt in gespenstischen Revue-Reigen oft als Chorus Line, im Stil der 1920er Jahre, verfremdet und seltsam entrückt. Krügers Verlobte Johanna (Liliane Amuat) kämpft für seine Freilassung und lässt sich dazu hemmungslos mit allen wichtigen Leuten ein, schläft sich quer durch den Gesellschaftssumpf.

Justizminister Klenk (Felix von Manteuffel) macht sich als feister Klischee-Trachtenbayer (Kostüme: Barbara Drosihn) zum Hündchen der coolen Industriellen von Reindl (Barbara Horvath), Oliver Stokowski verliebt sich als saturierter Groß- bürger Hessreiter, der jüdische Rechtsanwalt und Gerechtigkeitskämpfer Geyer (Thomas Reisinger) wird zusammengestiefelt und hält eine programmatische Rede im Reichstag, sein Nazi-Sohn (Moritz Treuenfels) organisiert den Fememord an einem Dienstmädchen. Rupert Kutzner alias Hitler, der Führer der »Wahrhaft Deutschen«, tritt nicht auf. Sein Bruder Alois (Michael Wächter) folgt ihm treu, und sein Sprachlehrer, der Schauspieler Stolzing im Hamlet-Wams, zitiert stolz und gerührt im Publikum die Rede seines Schülers – ein großer Auftritt von Steffen Höld. Und Strutzenberger geistert als tuberkulöse Nachtclub-Tänzerin mit riesen Feder-Fächer auf dem Kopf halbnackt durch die Menge. Die Live-Musik von Sven Kaiser und seiner Band kommentiert klug mit Swing, Charleston, Jazz bis zur »Die Wacht am Rhein« und bayerischer Tanzbodenmusik. Am Ende schließt sich die Wand wieder. Krüger stirbt und singt zum Schluss berührend den KnefSong »In dieser Stadt kenn’ ich mich aus… Wie sieht die Stadt wohl heute aus?«. ||

ERFOLG
Residenztheater | 12., 15. Jan. 2024 | 19.30 Uhr | 19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940

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