Alexander Eisenach überschreibt frech Goethes »Götz von Berlichingen« – und macht ihn ganz aktuell, spannend und komisch.
Götz von Berlichingen
Die Freiheit, die ich meine
Der historische Götz von Berlichingen (1480–1562) lebte in einer Umbruchzeit. Als freier Reichsritter war er nur dem Kaiser verpflichtet, als Justiz galt das Faust- und Fehderecht, das Kaiser Maximilian I. mit dem »ewigen Landfrieden« 1495 erfolglos zu verbieten versuchte. Götz war berühmt als Kämpfer, berüchtigt als Raubritter. Seine eiserne Hand war eine kunstvolle Prothese, eine Kanonenkugel hatte ihm den Unterarm weggeschossen. 1517 begann die Reformation, in den Bauernaufständen ließ sich Götz als Hauptmann instrumentalisieren, was ihm Acht und Bann eintrug. 1771, mit 22, schrieb der junge Goethe sein Sturm-und-Drang-Drama »Götz von Berlichingen«, das Götz als Freiheitskämpfer idealisiert.
Der 29-jährige Regisseur Alexander Eisenach konzentriert sich auf den Freiheitsbegriff. Für seine Inszenierung überschrieb er Goethes Text, holte ihn so unbekümmert frech und intelligent in die Gegenwart, dass sich Parallelen mit Querdenkern und Verschwörungstheoretikern von selbst einstellen. Er scheut weder Klamauk noch Karikatur: Das macht nicht nur Gymnasiasten Spaß und regt zur Diskussion an. Zu Beginn zwängt sich Hanna Scheibe als Ritter Liebetraut in voller Rüstung vor den Eisernen Vorhang, kämpft einen hinreißenden Slapstick mit einem Klappstuhl aus und erklärt die Welt des Spätmittelalters. Dann verkündet ein Herold vor romanischen Rundbögen (Bühne: Daniel Wollenzin) den Landfrieden, dieRitter sind empört: Man will ihnen ihre Freiheiten und Waffen wegnehmen! Im Hintergrund donnern Benedikt Brachtel und Sven Michelsen live brachialen Punkrock dazu.
Für Götz ist »frei leben das Höchste. Ich brauche Bedeutung!« Lukas Rüppel wirkt bodenständig naiv mit rotem Vokuhila, seine eiserne Hand ist aus Pappmaché, mit buntem Klebeband umwickelt. Am liebsten würde er den Kulturtempel Cuvilliéstheater sprengen, erklärt Rüppel, statt hier zu monologisieren. Das Götz zugeschriebene »Arsch«-Zitat fällt auch öfters. Seine fanatische Schwester Maria (Carolin Conrad) bringt ihm ein riesiges Geschenkpaket auf Füßen: den Überläufer Franz von Sickingen (Simon Zagermann), einst Freund jetzt Gegner und Geisel gegen den eitlen Bischof von Bamberg (Vincent Glander). Sickingen ist ein Wendehals, verlobt sich mit Maria und läuft wieder über zurück zum Bischof. Zu dessen Hofstaat gehören neben dem Zyniker Liebetraut der Juristenschnösel Olearius (Nicola Kirsch) und die intrigante, machtgierige Verführerin Adelheid (Myriam Schröder). Götz hat im Ritter von Weislingen (Niklas Mitteregger) einen Verbündeten. Die unverblümte Sprache und das direkte Spiel sind voller Komik, in verschnörkelt als Großmedaillons gerahmten Videos hat Oliver Rossol mit KI die Schauspieler ins 16. Jahrhundert versetzt. Leidenschaftlich wird über die Freiheit gestritten. Bauern, Ritter, Bischof – jeder definiert sie anders. Als es zum Kampf kommt, ist die Drehbühne auf der Rückseite mit Holzspießen bewehrt wie ein Käse-Igel. Die Revolution scheitert, Götz brüllt überlaut ein paar Punksongs und sitzt am Ende resigniert an der Rampe, während die anderen die Bühne aufräumen. ||
GÖTZ VON BERLICHINGEN
Cuvilliéstheater | 8. Juni | 20 Uhr | 3., 9. Juni
19.30 Uhr | Tickets: 089 21851940
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