Das Ismaninger Kallmann-Museum zeigt »Bilder des Menschen« aus der Sammlung des Münchner und Wiener Galeristen Helmut Klewan.
Bilder des Menschen
Quetschfarben, Brandfarben, Verwesungsfarben
Man könnte fast neidisch werden. Da verbindet einer Beruf, Passion und Hobby mit seiner Begeisterung für die Kunst und heraus kommt: etwas Museales. Im Ismaninger Kallmann-Museum ist eine Auswahl von 200 Werken von 40 Künstlern aus der gut 6000 Stücke umfassenden Sammlung des renommierten (ehemaligen) Galeristen und Autors Helmut Klewan (*1943) zu sehen.
Dabei werden natürlich erst einmal die persönlichen Vorlieben des Sammler sichtbar. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Und so ist an Hand der gezeigten Gemälde, Zeichnungen, druckgrafischen und ein paar plastischen Arbeiten eine facettenreiche künstlerische Darstellung des Menschen im 20. und 21. Jahrhundert nachzuvollziehen.
Aufgebaut hat der Sohn von Wiener Antiquitätenhändlern seine Kollektion seit Beginn der 70er Jahre. Damals begann er auch in der Wiener Dorotheergasse die »Wiener Aktionisten« auszustellen. Von der Radikalität deren Aktionen war die Öffentlichkeit nicht besonders begeistert. Den größten Skandal machte die Aktion »Kunst und Revolution« von Günter Brus, Otto Muehl, Peter Weibel und Oswald Wiener im Juni 1968 in einem Unihörsaal: Für die in der Boulevardpresse als »Uni-Ferkelei« bezeichneten drastischen Tabubrüche wurden die Beteiligten angeklagt und teils zu Haftstrafen verurteilt.
Klewan hingegen stellte ihre Werke aus. Auch jetzt noch provozieren fotografische Arbeiten von Günter Brus, der seinen Körper mit Rasierklingen, Nägeln, Nähten oder Scheren malträtierte. Es sind die wohl extremsten Bilder dieser Schau. Geschundene, deformierte, fragmentierte oder gar zerstörte Körper aber sind ein häufig aufscheinendes Thema. Einer der berühmtesten Stars, Francis Bacon, ist mit der Lithografie »Three Studies of the Male Back 2/3« von 1987 vertreten. Alberto Giacometti, auch nicht gerade für die Darstellung ebenmäßig schöner, betörender Körper bekannt, ist zwar nicht mit seinen überlängten figurativen Skulpturen vertreten, aber mit einigen grafischen Arbeiten. Darunter sind Selbstporträts sowie ein »Stehender Akt«, der durch abstrahierendes Weglassen zu einer schlank-eleganten Figur wird.
Mit Selbstporträts beginnt auch der Rundgang, denn Klewan sammelte leidenschaftlich Porträts von Schriftstellern (die gingen 2022 als Schenkung ans Wiener Leopold Museum) sowie Künstlerselbstporträts. Giorgio de Chirico malte sich mit riesigem, breitkrempigen Hut und rotem Umhang. Paul Klee präsentiert sich im »Versunkenheit–Selbstporträt«, Radierungen zeigen Chagall mit einer Grimasse, den in den 20er Jahren in Paris lebenden Japaner Tsuguharu Foujita mit Katze und Kokoschka bei der Arbeit mit Radiernadel.
Zu sehen sind prominente Künstler wie Pablo Picasso und Max Beckmann, Paul Cezanne und Lovis Corinth. Neben den vielen prüfenden Blicken auch imaginäre Inszenierungen wie bei James Ensor. Auch kaum Bekannte sind vertreten: Der gebürtige Belgier Arman François Henrion stellt sich immer wieder als Pierrot in unterschiedlichen, grotesk gemimten Gemütsverfassungen dar.
Im nächsten Raum hängen dann Bildnisse von Jean Dubuffet, der sich von der Bildsprache psychisch Kranker, von Kindern und Außenseitern inspirieren ließ. Auch die Werke der anderen Art-Brut-Künstler Gaston Chaissac und Louis Soutter, die von losen Körperteilen bestimmten Zeichnungen der an Schizophrenie leidenden Martina Küngler oder die frühen Pop-Art-Kreationen von Michael Langer missachten, so Museumsdirektor und Kurator Rasmus Kleine, akademische Kunstregeln und bringen vielmehr antiakademische Rohheit und naive Ehrlichkeit zum Ausdruck.
Besonders aufmerksam verfolgte Klewan seine österreichischen Landsleute, darunter Fritz Wotruba oder Attersee, mit dem Klewan freundschaftlich verbunden ist. Auch mit Arnulf Rainer, der schon Kunde im elterlichen Geschäft war, ist er bis heute befreundet. Rainer, der wie der Galerist auch einen Sinn für Kitsch besitzt, weckte bei Klewan einst das Interesse für die Avantgarde. Seine betörende Übermalung einer Tennisspielerin ist auchfarblich beeindruckend.
Ein Highlight der Schau ist die von ihren bekanntesten Schülerinnen – Mara Mattuschka, Johanna Freise und Regina Götz – umringte Maria Lassnig, die Klewan in seiner Münchner Galerie erstmals 1981 an der Isar zeigte. Von Lassnig sind mehrere Werke zu sehen, die sich immer mit dem gefühlten Körper auseinandersetzen – was man dann auch als »Body Awareness« bezeichnete. Dabei spielen Sexualität und Gewalt, Eigen- und Fremdbild eine Rolle. Es geht ihr nicht um realistisch-figurative Darstellungen, sondern um das Sichtbarmachen von Empfindungen. Sie selbst sagte dazu, dass man die Erinnerung auslöschen müsse, um ein reines Körpergefühl wahrzunehmen. Der daraus folgenden Empfindungsrealität passt sich ihre Farbpalette an, die aus Bedeutungsfarben besteht. So erhält etwa die Stirn eine Gedankenfarbe, die Nase eine Geruchsfarbe. Dann gibt es Schmerz- und Qualfarben, Quetsch- und Brandfarben, Todes- und Verwesungsfarben.
Interessant auch, dass Lassnig ihre Werke nicht hergeben wollte. Klewan meinte zu diesem Sammlungsschwerpunkt: »Dreißig Jahre Freundschaft mit Maria Lassnig waren wie ein Kampf. Man musste ihr jedes Bild abschwatzen. Ölbilder hat sie mir lieber in Kommission gegeben, als dass sie sie verkauft hätte. Das Bewusstsein, ein Bild nicht mehr zurückzubekommen, war für sie unerträglich.« So betrachtet kriegt dann auch das beneidenswert erscheinende Bild vom Traumberuf Galerist gewisse Risse. Risse zeigen sich zwar im KallmannMuseum nicht. Dennoch wird das Haus nach dieser Ausstellung bis mindestens Juni 2024 geschlossen und nach Plänen des Münchner Architekturbüros Venus umgebaut. ||
BILDER DES MENSCHEN – DIE SAMMLUNG KLEWAN
Kallmann-Museum Ismaning | Schloßstr. 3b
bis 11. Juni | Di bis Sa 14.30–17, So 13–17 Uhr | Führung: 11.6., 15 Uhr
Weitere Texte zu aktuellen Ausstellungen gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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