Schauspieler Brendan Fraser ist mit »The Whale« nach über einem Jahrzehnt zurück auf den Kinoleinwänden.

The Whale

Hollywood-reifes Comeback

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Brendan Fraser als seelengequälter Charlie © Courtesy of A24

Dieses Comeback hätte Hollywood sich kaum schöner ausdenken können: Der Schauspieler Brendan Fraser erhält nach über einem Jahrzehnt abseits des Rampenlichts stehende Ovationen bei den Filmfestspielen von Venedig. Kurz nach der Weltpremiere des Films »The Whale« Anfang September 2022 machten verwackelte Handyvideos online die Runde – beinahe erschrocken sitzt da ein sichtlich gerührter Fraser in seinem Kinosessel, erhebt sich nur zögerlich angesichts des Jubelsturms, den ihm das Publikum entgegenbringt, Tränen laufen ihm über die Wangen. Regisseur Darren Aronofsky klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter.

In den 1990er Jahren verging kein Kinojahr ohne Fraser, denn der Schauspieler war sowohl amtlicher Komödienclown (»Airheads«, 1994), Abenteuerfilmstar (»Die Mumie«-Trilogie, 1999 bis 2008) als auch Teenieschwarm (»Eve und der letzte Gentleman«, 1999) – diese Bandbreite bekommen nur die wenigsten hin. Fraser schaffte es obendrein immer mit Bescheidenheit. In Interviews wirkte er damals wie der bodenständige Bruder von Megastars wie Leonardo DiCaprio und Brad Pitt.

Mitte der 2000er Jahre verschwand er jedoch von den Kinoleinwänden. Nachträglich erklärt Fraser diesen Einbruch mit Gesundheitsproblemen, einem Scheidungskrieg sowie psychischen Problemen wegen eines sexuellen Übergriffs, den der damalige Chef der Hollywood Foreign Press Association an ihm verübt hatte. Die Einrichtung vergibt jährlich die Golden Globes. Sein Comeback ist also das perfekte Hollywoodmärchen, und handelt von der Möglichkeit, auch schlimmste Krisen überwinden zu können, wenn man einfach an sich selbst glaubt.

Man kann verstehen, weshalb Fraser die Rolle angenommen hat, die er nun in »The Whale« spielt: Der sanftmütige Lehrer Charlie ist ähnlich wie Fraser von einem Schicksalsschlag an den Rand der Gesellschaft gespült worden und hat seine emotionalen Probleme mit Essen betäubt. Zu Beginn des Films ist er so übergewichtig, dass er seine Wohnung nicht mehr verlassen kann und will. Literaturkurse gibt er nur noch online und lässt dabei die Webcam konsequent aus. Sein Herz versagt langsam, sich selbst hat Charlie schon lange aufgegeben. Lediglich der Besuch seiner entfremdeten Teenietochter Ellie lässt ihn nochmal Hoffnung schöpfen.

Drehbuchautor Samuel D. Hunter drückt gewaltig auf die Tränendrüse. Das eigentliche Drama des Films sind allerdings die Klischees über Übergewichtige, die er hier kondensiert reproduziert und die Aronofsky mit seiner realistischen Inszenierung leider unreflektiert auf die Leinwand bringt. Klischees bleiben gemeine Klischees, auch wenn Außenstehende sie mit betroffenem Blick reproduzieren und behaupten, damit Sichtbarkeit zu schaffen.

Fraser, von der Maske in einen 300-kg-Fatsuit gesteckt, macht das Beste daraus und verdeutlicht Charlies vielschichtige Seelenqualen vor allem mit seiner Stimme und seinen Augen. Fraser ist der einzige Grund, sich »The Whale« anzusehen, sein Comeback mehr als gerechtfertigt. Mitte März hatte dieses Märchen nun sein Happy End, als er bei den Academy Awards einen Oscar für die beste männliche Hauptrolle erhielt. Verdient ist der Preis allemal, aber, wie so oft bei den Oscars, leider für den falschen Film. ||

THE WHALE
USA 2022 | Regie: Darren Aronofsky
Mit: Brendan Fraser, Sadie Sink, Hong Chau, Samantha Morton | 117 Minuten
Spielfilm | Kinostart: 27. April | Website

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