Elton John, Tori Amos und Heaven 17: Der Pop-Frühling ist ein Tummelplatz erinnerter Prominenz.
Konzerte in München: Elton John, Tori Amos …
Stimmen der Erinnerung
Mehr Pop geht kaum. Schon die Vorstellung, die eigene Karriere zu Lebzeiten mit einem Spielfilm nacherzählen zu lassen, zeugt entweder von umfassend verinnerlichtem Marketing oder einem Selbstbewusstsein, das sich über die britischen Gewohnheiten des Understatements hinwegsetzt. Der »Rocketman« Elton John hatte allerdings auch einiges zu erzählen, vom uninteressierten Vater über die schillernde Mutter bis zur herzerwärmenden Großmutter, die den Knaben betüdelte. Dann waren da die Lehrjahre in Pubs und Tingelcombos, erste Erfolge in einer Zeit, als Popmusik gerade so richtig erfunden und in ihren verschiedenen kommerziellen und künstlerischen Dimensionen erprobt wurde. Mythen gehörten dazu, der Sex – zunächst bi und damals noch skandalös – und die Drugs, von früheren Subkulturen in die neue bunte Musikwelt gespült und ausgiebig nun von den jungen Wilden zelebriert. Mehr Pop ging kaum und auch wenn Elton John inzwischen mit Mitte Siebzig als Knight Bachelor und Commander des Order Of The British Empire etablierter kaum sein könnte, transportiert er doch weiterhin das Image des glitzernden Entertainments, das Las-Vegas-Hafte übergroßer Brillen und funkelnder PaillettenJackets mit der Aura einer Zeit, in der die Zukunft noch in Ordnung war, wenn auch die Gegenwart nicht immer perfekt.
Und so war klar, dass trotz phantasievoller Ticketpreise das ursprünglich für 2021 angesetzte Konzert unter dem Signum des berühmt gewordenen Yellow Brick Road Albums fix ausverkauft war, so dass Karten für die Show am 27. April nur noch über Fan-Kanäle oder Edel-Bundles im Gegenwert einer kleinen Kreuzfahrt zu bekommen sind. Aber auch das ist Pop, die rätselhafte Verschiebung des einst Verruchten in die Mitte des vermögenden Mainstreams. Denn so sehr einzelne Künstler:innen, die abseits des Anerkannten darben, um ihr Einkommen kämpfen müssen, so deutlich hat sich die Industrie erholt, die laut Statistik des Branchenverbandes IFPI im vergangenen Jahr wieder um neun Prozent gestiegen ist und immerhin weltweit 26,2 Milliarden US-Dollars jährlich umsetzt. Wer hat, dem wird gegeben, und so wirken auch die kommenden Musikmonate überraschend übervoll, obwohl an sich an vielen Enden von der Veranstaltungstechnik bis zur den rar gewordenen Tourbusfahrer:innen die Infrastruktur bröckelt. Die Großen jedenfalls, zumindest die, die auf eine Geschichte oder auf werbepralle Gegenwart bauen können, sind weiterhin gut dabei.
Dazu kommen außerdem Trends der gesellschaftlichen Wiederkehr. Die Achtziger sind hip, und wer es geschafft hat, über die Jahre von Techno, Hiphop und Tik Tok nicht vergessen worden zu sein, hat gute Chancen, sich wieder erfolgreich unter die Konzerttermine mischen zu können. Heaven 17 zum Beispiel. In den frühen Achtzigern gehörte die Band aus Sheffield zu den linksbewegten Wave-Pop-Projekten, die wie Human League sich klanglich am Ideal der aufblühenden Synthesizer orientierten, darüber hinaus aber durchaus dezidiert gegen rechte Strömungen in der britischen Gesellschaft Stellung bezogen. Da gab es ein paar Hits, größere wie »Temptation«, kleinere wie »Penthouse and Pavement«, Phasen der Begeisterung, der Trennung und Wiedervereinigung bis hin zu einer aktuellen Tournee, die die Band am 10.April ins Münchner Backstage führt. Und wie schon Elton John, nehmen auch Heaven 17 einen ihrer frühen Slogans als Motto der Auftritte. Sie erklären »We Don’t Need That Fascist Groove Thang« und bleiben damit so aktuell wie zu ihrer Gründungsphase.
Noch eine verdiente Künstlerin beglückt den Pop-April. Tori Amos macht am 16. April in München Station und sie hat es von den Clubs und kleinen Hallen längst in das Zentrum der Hochkultur geschafft. Denn sie spielt in der Isarphilharmonie, inzwischen mehr Schamanin als Popsängern, die sich für die Lieder ihrer »Ocean To Ocean«-Konzerte auch von Baumpropheten wie Peter Wohlleben inspirieren lässt, der der Natur aufmerksam unter die Rinde blickt. Drei Beispiele also für den etablierten Pop der Gegenwart mit Anker im Vergangenen, der seine Valorisierungen im Wettkampf der Sichtbarkeiten gefunden hat. Drei Beispiele auch, die Fragen eher stellen, als sie zu beantworten. Denn die rätselhafte Asymmetrie des aktuellen Musikgeschäfts scheint sich eher zu verstärken als aufzulösen. Und wem die voraussichtlich schnelllebigen Aufmerksamkeiten der Zukunft gehören, ist unklarer denn je. Zur Zeit dominieren noch Erinnerungsheld:innen das Bild, vom Rocketman bis zur Augurin. ||
HEAVEN 17 | 10. April | Backstage | Website
TORI AMOS | 16. April | HP8-Isarphilharmonie | Website
ELTON JOHN | 27. April | Olympiahalle | Website
jeweils 20 Uhr | Tickets
Weitere Vorberichte gibt es in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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