Die Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin steht für eine Ära. Sie hat geschockt, versöhnt und ist heute eine der Lichtgestalten erwachsener Popmusik.
Jane Birkin
Die Zeitlose
Ihre musikalische Karriere begann mit einem Paukenschlag. Dabei hatte Jane Birkin doch nur ins Mikrofon gehaucht. Aber es geht in dem 1969 zusammen mit ihrem damaligen Partner Serge Gainsbourg aufgenommenen Lied »Je t’aime … moi non plus« nun mal um Sex. Und so wird aus dem Hauchen bald ein Luststöhnen mit sich steigernder Atemfrequenz, zu dem Gainsbourg doch sehr eindeutige Zeilen singt. Ein Beispiel: »Wie die ziellose Welle gehe ich, ich gehe und komme zwischen deinen Lenden«. Das war zu viel für viele konservative Ohren. Das Lied wurde von internationalen Radiostationen boykottiert. Es wurde ein handfester Skandal daraus – und ein riesiger Hit. Heute gilt »Je t’aime … moi non plus« als Kultsong. Und es ist der Song, mit dem man Jane Birkin als Sängerin hauptsächlich verbindet. Karriere hat die gebürtige Engländerin danach dann vor allem als Schauspielerin gemacht.
Ihren Durchbruch hatte sie 1967 in der Rolle eines Fotomodells in Michelangelo Antonionis »Blow Up«. In den Achtzigern trat sie unter anderem in »Das Böse unter der Sonne« von Guy Hamilton und in »Theater der Liebe« von Jacques Rivette auf. Parallel lief Jane Birkins Musikkarriere immer weiter. Das heißt, bis auf eine Unterbrechung in der Zeit von 1991 bis 1998. Im Jahr 1991 starb der geniale Serge Gainsbourg. Er und Jane Birkin hatten sich bereits 1980 getrennt. Aber nach dem Tod ihres früheren Partners sagte sie öffentlich: Ich höre mit dem Singen auf. Im Jahr 1998 erschien mit »À la legère« dann aber doch wieder ein eigenes Album, und Jane Birkin war fortan und ist bis heute wieder auf der Bühne zu erleben. Am 26. März ist sie nun live in der Münchner Isarphilharmonie. Im Gepäck hat sie ihr 2021 erschienenes, 14. Studioalbum »Oh! Pardon tu dormais …«, von dem im letzten Jahr auch eine Konzertfassung erschien. »Oh! Pardon tu dormais …« ist ein eindrückliches, nun ja, auch ein Alterswerk. Immerhin ist die 1946 in London geborene und seit den Sechzigern in Frankreich lebende Jane Mallory Birkin inzwischen 76 Jahre alt. Sie hat viel erlebt und so einige Schicksalsschläge erlitten. Der wohl tragischste: der Tod ihrer Tochter Kate Barry. Die britische Fotografin stürzte 2013 aus einem Fenster. Im Song »Cigarettes« auf dem neuen Album hat Birkin das Ereignis zum ersten Mal musikalisch verarbeitet.
Auch der Geist des toten Gainsbourg spukt durch das Album. Etwa in den klassisch-eleganten Arrangements, für die Jean-Louis Piérot und die französische Poplegende Étienne Daho verantwortlich zeichnen. Jane Birkins Stimme? Die klingt immer noch gehaucht und heiser, manchmal auch leicht brüchig. Souldiva oder Opernsängerin wird Birkin nicht mehr. Dafür ist ihr Gesang sympathisch unaufdringlich, sehr charaktervoll und auf seine Weise perfekt eingesetzt. Die französischen und englischen Texte sind eine emotionale Tour de Force. Sie stecken wie bei »Cigarettes« voll Kummer. Sie sind tragisch, aber auch witzig und kokett. Und wenn Birkin wie in »Ghosts« zu ihren verstorbenen Eltern, Großeltern und ihrer Tochter singt oder in »Catch Me If You Can« Sätze wie »I’m almost gone from view«, könnte man das so interpretieren, dass sie auf ihr eigenes Ende vorausblickt. Tatsächlich hatte Birkin im September 2021 einen leichten, zum Glück harmlosen Schlaganfall. Aber das war nach dem Erscheinen des Albums, in dessen Stücken neben Trauer und Tragik auch viel Tapferkeit und Kampfgeist stecken.
Ihren letzten Filmauftritt hatte Jane Birkin übrigens in »Jane By Charlotte«. Einem ebenfalls 2021 entstandenen Dokumentarfilm, den ihre Tochter Charlotte Gainsbourg über sie gedreht hat und der 2022 auf dem Dok.Fest München lief. Gainsbourg, die zweite von drei Töchtern und heute eine der besten Schauspielerinnen Frankreichs, hat sechs Jahre an dem Film gearbeitet, eine Fülle von Home-Movies gesichtet und viele Interviews mit ihrer Mutter geführt. Die beiden ihrem Wesen nach schüchternen, berufsmäßigen Exhibitionistinnen sprechen über Verwandtschaft, Schuldgefühle, Schlaflosigkeit, Krankheit und Tod. Und über Charlottes Vater: Serge Gainsbourg. Irgendwann treffen sich die beiden auch in dessen Wohnung. Seit seinem Tod vor 30 Jahren hat sich nichts darin verändert. Charlotte hatte immer wieder das Gefühl, ihr Vater, mit dem sie übrigens 1984 als 13-Jährige mit »Lemon Incest« ein ebenfalls hochkontroverses Lied sang, könnte zurückkehren. Das passiert im Film natürlich nicht. Dafür taucht Charlottes jüngste Tochter Jo vor der Kamera auf. Ein kluges, unternehmungslustiges Mädchen. Gut möglich, dass sie das Familienerbe weiterführt.
Jetzt ist aber erst noch Jane Birkin an der Reihe, deren Stimme, etwa wenn sie wie in »Les Yeux Interdits« ein fröhliches »Lalala« trällert, auf ihre Weise nicht zu altern scheint. Tatsächlich hat sie kürzlich in einem Interview über das Singen gesagt: »Wenn ich auf der Bühne stehe, gibt es kein Gestern und Heute, ich fühle mich alterslos.« Kraft der Musik, der Erfahrung, des Lebens. ||
JANE BIRKIN
Gasteig HP8 | Hans-Preißinger-Str. 8 | 26. März | 20 Uhr
Tickets: 089 54818181 und online
Weitere Vorberichte finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
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