Der »Falstaff« am Nürnberger Staatstheater vermeidet übliche Klischees. Damit wird Verdis Spätwerk deutlich moderner.

Falstaff

Schon auch komisch

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Falstaff (Claudio Otelli) buhlt mühsam und ein wenig ungelenk um Alice (Emily Newton) | © Pedro Malinowski

Ritter Falstaff sitzt auf einem schäbigen Plastikstuhl vor einer Kebabbude und ist grantig, weil ihm das Leben davonläuft. Ab und zu zupft er sich ein frisches Dosenbier aus dem Kühlschrank beim Imbisswirt, aber er muss anschreiben lassen. Hinter ihm die Sperrholzfassade eines Wohnsilos à la Neuperlach. Auf jedem Balkon eine Satellitenschüssel, und ab und zu fliegt ein Müllsack auf die Straße. Ein Vorstadtkönig in seinem Kiez. Aber ganz klar, die guten Zeiten des Helden sind schon lange passé. Da beschließt er, mal wieder seine alte Edelmannmasche abzuziehen, und schreibt zwei gleichlautende Liebesbriefe an Frauen aus dem reichen Villenviertel, und so nehmen die Turbulenzen um diesen Schwindel ihren Lauf.

Regisseur David Hermann, der seit einiger Zeit an vielen großen Häusern gut gebucht ist, hat aus seinem »Falstaff« am Nürnberger Staatstheater auf den vielleicht zu erwartenden burlesken Faschingsschwank um die Verdi-Adaption der Shakespearekomödie von den »Lustigen Weibern von Windsor« verzichtet. Er erzählt vielmehr die Geschichte eines heruntergekommenen Freigeistes, der versucht, ein paar Krümel vom Wohlstand einer von ihm herablassend betrachteten bürgerlichen Gesellschaft abzugreifen. »Ich wollte mal keinen fetten, versoffenen Proleten zeigen«, erklärt David Hermann im MF-Gespräch. »Falstaff kann feinsinnig sein, hat Charme und Charisma. Ein Dandy. Die Frauen durchschauen ihn zwar, aber seine innere Unabhängigkeit und Freiheit machen schon Eindruck und lösen etwas bei ihnen aus.«

Der »Falstaff« entstand als letztes großes Werk des Jahrhundertkomponisten Giuseppe Verdi und ist bis auf einen Misserfolg am Beginn seiner Karriere seine einzige Opéra comique. »Schade, dass er sich nicht früher mit solchen Stoffen beschäftigt hat«, sagt Hermann weiter. »Verdi war selbst Freigeist und konnte sich mit Falstaff identifizieren. Als er das Stück komponierte, galt er bereits als lebende Opernlegende und wollte wohl beweisen, dass er noch im Alter ein Werk schaffen kann, das in die Moderne weist.«

Und das hört man in Nürnberg trefflich. Claudio Otelli in der Titelrolle gibt den Falstaff stets überlegen gegen die »Dutzendmenschen«, wie er das Bühnenpersonal um sich herum betitelt. Die aber sind, allen voran der eifersüchtige Widersacher Ford und die vier Frauen von Windsor, so gut besetzt, dass das Spiel offen bleibt und im Finale überraschende Wendungen bringt. Björn Huestege dirigiert das Staatsorchester in vielen Passagen im angedüsterten Verdisound, sodass man im Parkett schon Sorge bekommt, wie das Ganze für Falstaff wohl ausgeht. Denn die Damen, auf die er es abgesehen hat, lassen sich seine Tricks natürlich nicht gefallen und verpassen ihm eine spektakuläre Abreibung.

Aber selbst als er am Ende vollständig blamiert in der Unterhose auf der Bühne steht, kommandiert er in grandioser Unverschämtheit: »Jetzt noch ein Chor zum Schluss, dann gehen wir essen!« Auch wenn also alles einigermaßen gut ausgeht und Falstaff seine Niederlage souverän abperlen lässt, vom reinen Lustspiel sind wir bei dieser Neuinszenierung ein gutes Stück weg. Eben deshalb eine sehens- und hörenswerte Deutung am Nürnberger Staatstheater. ||

GIUSEPPE VERDI: FALSTAFF
Opernhaus Nürnberg | 25. Feb., 5. März | 19.30 Uhr | Tickets: 0180 1344276

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