Eine einzigartige Ausstellung in der Pinakothek der Moderne zeigt Max Beckmann, den großen Maler von Menschheits-Mythen, im Kontext von Reise und Exil, von Aufbruch und Abschied.
Max Beckmann
Die Magie der Realität
Blicke aufs Meer: Aus der Luke eines Schiffes, auf einen Dampfer am Horizont, über gewaltige Wellen – und in dramatisch gekippter Perspektive, als würde das Boot sinken. Das Gemälde ist nur 27 Zentimeter hoch und doch von elementarer Wucht. Über zwei Meter Höhe hingegen misst das dreiteilige, gesamt drei Meter breite Bild »Departure«, nach dem die BeckmannAusstellung in der Pinakothek der Moderne benannt ist. Sein erstes Tryptichon begann Max Beckmann 1932 in Frankfurt, siedelte nach Angriffen von Seiten der Nationalsozialisten 1933 nach Berlin über, wurde seiner Professur enthoben, seine Werke wurden auf »Schandausstellungen« verfemt und aus Museen entfernt. Das linke Seitenbild zeigt gefesselte Figuren – eine geknebelt und mit abgehackten Händen – und wurde am 31. Dezember 1933 vollendet. Der Maler hatte, um die nationalsozialistischen Behörden irrezuführen, die drei Teile mit Etiketten versehen, die die Gemälde als »decorativer Entwurf« zu Shakespeare auswiesen. Die dunklen, gedrängten InnenraumSzenen der Seitenbilder kontrastieren mit der mythischen Bootsfahrt des Mittelbildes, in dessen Zentrum unter hellem Himmel, vor blauem Meer der blondgelockte Kopf eines Kindes Freiheit und Zukunft verkörpert. »Ferne flutet ins Bild«, wie der Schriftsteller, Freund und Beckmann-Sammler Stefan Lackner schrieb, und Beckmann, gleichwohl er allzu direkte Bezüge zur Diktatur vermied, äußerte sich so: »Die Freiheit ist das, worauf es ankommt, sie ist die Abfahrt, der neue Beginn.«
Seinem Kunsthändler Curt Valentin schrieb er 1938: »Abfahrt, ja, Abfahrt vom trügerischen Schein des Lebens zu den wesentlichen Dingen an sich, die hinter den Erscheinungen stehen. Dies bezieht sich aber letzten Endes auf alle meine Bilder.« So steht diese Aufbruchsszene in Verbindung mit Beckmanns Konzeption seiner nicht abstrakten, sondern »realistischen« Malerei: »Es handelt sich für mich immer wieder darum, die Magie der Realität zu erfassen und diese Realität in Malerei zu übersetzen. – Das Unsichtbare sichtbar machen durch die Realität«, formulierte er, ebenfalls 1938, in einer programmatischen Rede in London.
Wer den großen Maler von Menschheits-Mythen kaum kennt und auch wer dem Maler, Zeichner, Grafiker, Skulpteur, Dichter und Denker Beckmann vertraut ist, kann in dieser einmaligen Ausstellung vieles entdecken. Denn die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München besitzen einen großen Beckmann-Bestand – vor allem der Stiftung des Kunsthändlers Günter Franke zu verdanken, der auch während der NS-Verfemung unter der Hand für Beckmann eintrat (und Leinwände unter seinen Teppichen verborgen hielt). Hier wurde 1977 das Max Beckmann Archiv begründet, dessen letzte Erweiterung 2015 durch die Schenkung der Enkelin Mayen Beckmann mit den Nachlässen von Max, seiner ersten Frau Minna BeckmannTube, seiner zweiten Frau Mathilde von Kaulbach (Kosename: Quappi), seines Sohnes Peter und seiner Schwiegertochter Maja entscheidend bereichert wurde. Für Beckmann wichtige Bücher und seine Palette sind zu sehen, private Fotografien und Reise-Fotoalben sowie Ansichtskarten, die den Maler inspirierten wie etwa beim Gemälde »Promenade des Anglais in Nizza« (1947). Diese Dokumente werden erstmals gezeigt und mit grandiosen Leihgaben aus dem malerischen Œuvre in Beziehung gesetzt.
Der Großstadtbewohner liebte Hotels und Bars, Häfen und Bahnhöfe und das Kino – und reiste gern ans Meer. Nach Kriegsbeginn konnte der Maler, der seit 1937 in Amsterdam im Exil lebte, nicht mehr reisen. Auch nicht in die USA emigrieren, denn das Konsulat lehnte 1939, als Beckmann einen Lehrauftrag des Art Institute of Chicago erhielt, seinen Antrag auf ein Einwanderungsvisum ab. So reisten erst seine Bilder aus Amsterdam – »Departure« wurde 1942 vom Museum of Modern Art angekauft und machte Beckmann in Amerika bekannt –, bevor der Maler selbst 1947 in die USA übersiedelte.
Kompositorische und malerische Korrespondenzen, Details und verbindende Motive in Beckmanns Kosmos, seinem gro- ßen Welttheater, werden deutlich. Wenn man den »Blick aus der Schiffsluke« (1934) mit dem Abteilfenster im Luxuszug nach Marseille, »Golden Arrow« (1930), vergleicht und anderen Fensterbildern. Oder den Bildern von Meer, Strand und Brandung nachgeht. Beckmanns frühes Werk »Die Männer am Meer« (1905) wird in der Ausstellung beziehbar auf das letzte Triptychon, das er 1950 – am Vorabend seines Todes – vollendete und zuerst «Künstler«, schließlich »Die Argonauten« betitelte. Es zeigt im Mittelbild wiederum eine mythologische Szene am Meer, am Himmel allerdings seltsame Gestirne. ||
MAX BECKMANN – DEPARTURE
Pinakothek der Moderne | Barer Str. 40 | bis 12. März | täglich außer Mo 10–18 Uhr, Do bis 20 Uhr | Führungen: Sa 16–17 Uhr; Fr 16.30–17.30 Uhr | Gespräch »Max Beckmann und das Kino« mit Hanns Zischler und Dunja Bialas: 16.2., 18.30 Uhr Liederabend »Max Beckmann – Journey in Music«: 10.3., 19 Uhr Der prachtvolle Katalog (Hatje Cantz, 352 Seiten, 393 Abb.) kostet im Museum 45 Euro
Weitere Ausstellungsbesprechungen finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Hier geht es zum Kiosk.
Das könnte Sie auch interessieren:
Klohäuschen-Biennale: Die 7. Ausgabe
Gruppendynamik: Die Ausstellungen im Lenbachhaus
This Is Me, This Is You: Die Eva Felten-Fotosammlung
Liebe Leserinnen und Leser,
wir freuen uns, dass Sie diesen Text interessant finden!
Wir haben uns entschieden, unsere Texte frei zugänglich zu veröffentlichen. Wir glauben daran, dass alle interessierten LeserInnen Zugang zu gut recherchierten Texten von FachjournalistInnen haben sollten, auch im Kulturbereich. Gleichzeitig wollen wir unsere AutorInnen angemessen bezahlen.
Das geht, wenn Sie mitmachen. Wenn Sie das Münchner Feuilleton mit einem selbst gewählten Betrag unterstützen, fördern Sie den unabhängigen Kulturjournalismus.
JA, ich will, dass der unabhängige Kulturjournalismus weiterhin eine Plattform hat und möchte das Münchner Feuilleton